Das Pfingstfest erlöst den Bab(b)elfluch

Wie Biblische Theologie unsere Sicht auf die Weltmission prägt

Artikel von Benjamin Trachsel
19. Mai 2024 — 8 Min Lesedauer

Als meiner Frau und mir vor einigen Jahren immer klarer wurde, dass unsere Gemeinde uns langfristig in den vollzeitlichen Gemeindegründungsdienst aussenden würde, stellte sich uns immer wieder eine Frage: Wo sollen wir hingehen? Auf welche Stadt, welches Land oder welche Volksgruppe sollen wir uns konzentrieren? Sollen wir ins Ausland gehen oder in Deutschland bleiben? Soll es in eine Großstadt gehen oder eher in ein Dorf? Und anhand welcher Kriterien sollen wir diese Entscheidung treffen?

Im Folgenden möchte ich in sieben Schritten die sich entfaltende Geschichte der Bibel nachvollziehen. Dabei zeige ich sieben Dinge auf, die unser Verständnis von Mission prägen und bei der Wahl unseres Missionsfeldes sowie der Priorisierung bestimmter Zielgruppen helfen sollen.

1. Der erste Missionsauftrag steht nicht in Matthäus 28, sondern in 1. Mose 1,28

Als Gott die Erde schuf, setzte er Adam im Garten Eden als Priesterkönig ein, um ihn zu bebauen und über ihn zu herrschen. Schon damals gab Gott ihm einen ersten großen Auftrag, den man auch Missionsauftrag nennen könnte:

„Und Gott segnete sie; und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan; und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, das sich regt auf der Erde!“ (1Mose 1,28)

Adam bekommt hier als Repräsentant der Menschheit den Auftrag, die ganze Welt zu „edenisieren“, also den Garten Gottes zu bebauen und zu erweitern und über die ganze Schöpfung zu herrschen. Er soll von Eden ausgehend die ganze Menschheit dazu anleiten, Gott zu vertrauen, zu gehorchen und anzubeten. Aber statt die Menschheit in die Anbetung zu führen, leitet Adam sie in den Götzendienst. Statt dem Befehl seines Schöpfers und Königs zu gehorchen, bringt er Tod, Verdammnis und Sünde in die Welt.

2. Der erste Missionar war kein Mensch, sondern Gott selbst

Adams Versagen als „Missionar“, die Welt in die Anbetung Gottes zu führen, machte den Missionsbefehl, wie wir ihn heute kennen, überhaupt erst notwendig. So lesen wir gleich im nächsten Kapitel davon, dass Gott eine Rettungsmission ankündigt (vgl. 1Mose 3,15). Diese Mission war keine spontane Aktion oder Reaktion auf den Sündenfall. Wir wissen, dass der dreieinige Gott schon vor Grundlegung der Welt beschlossen hatte, die Erlösung der Menschheit zu erwirken (vgl. 1Petr 1,20). Mission hat ihren Ursprung in Gott selbst, wie John Stott in seiner gleichnamigen Predigt richtig feststellte: „Unser Gott ist ein missionarischer Gott.“

3. Gott verstreut die Menschen nach dem Turmbau zu Babel

Die Folgen von Adams Versagen als Repräsentant der Menschheit sind gravierend. Statt Anbetung Gottes verbreiten sich Götzendienst und Sünde auf der ganzen Erde. Statt Gottes Gebot nachzukommen und sich auf der Erde zu verteilen, lehnt sich die Menschheit systematisch und bewusst gegen Gott auf und tut das Gegenteil. In ihrer zum Himmel schreienden Rebellion errichten sie eine Stadt mit einem großen Turm, um sich einen eigenen Namen zu machen und zusammenzubleiben.

„In Jesus kommt Gott selbst als Missionar auf die Erde, um seine Rettungsmission zu erfüllen.“
 

Als Reaktion darauf verwirrt Gott auf spektakuläre Weise die Sprache der Menschheit und lässt neue Sprachen entstehen. Zum einen handelt es sich dabei um eine Strafe für den Ungehorsam der Menschen. Zum anderen verwirklicht Gott hier, was ohnehin geschehen wäre, hätte Adam seinen Missionsbefehl ausgeführt: Er verstreut und verbreitet die Menschheit auf der ganzen Erde.

„Von diesen haben sie sich auf die Gebiete der Heiden verteilt, in ihre Länder, jeder nach seiner Sprache; in ihre Völkerschaften, jeder nach seiner Sippe.“ (1Mose 10,5; Hervorh.d.Verf.)

In der Völkertafel hier in 1. Mose 10, die chronologisch nach 1. Mose 11 eingeordnet wird, ist Sprache der entscheidende Faktor, der die Volksgruppen voneinander unterscheidet.

4. Jesus ermöglicht die Erfüllung des Missionsbefehls

Als die Rettungsmission Gottes in Zeit und Raum ihren Höhepunkt erreicht, kommt die zweite Person der Gottheit als Mensch auf die Erde. Durch Jesu Leben, seinen stellvertretenden Sühnetod am Kreuz und sein glorreiches Auferstehen ermöglicht er es sündigen Menschen überhaupt erst wieder, Gott in rechter Weise anzubeten. Am Kreuz erkauft er sich seine Herde – Menschen aus allen Völkern und Sprachen der Welt – und macht sie zu Anbetern Gottes. In Jesus kommt Gott selbst als Missionar auf die Erde, um seine Rettungsmission zu erfüllen.

5. Durch den Missionsbefehl in Matthäus 28 erfüllt sich auch der Auftrag aus 1. Mose 1,28

Der letzte große Auftrag, den Jesus seinen Jüngern vor seiner Himmelfahrt gibt, baut inhaltlich auf dem Auftrag Gottes an Adam auf. Die Jünger werden in die Welt ausgesandt, um das Evangelium zu verkündigen und unter allen Völkern Jünger zu machen, das heißt Gemeinden zu gründen. Es sind die Ortsgemeinden, die die Erde mit Gottes Herrlichkeit füllen und ihn überall auf der Welt anbeten. Der lutherische Theologe Chad Bird beschreibt diese Realität wunderbar mit den folgenden Worten:

„Die Gemeinde … erweitert die Familie des Vaters, indem wir lehren und taufen … Wir, seine Jünger, sind Teil der geheimnisvollen, weltweiten Ausbreitung der neuen Schöpfung, die unter der alten verborgen ist, während wir immer mehr verlorene Adams und Evas zurück nach Hause bringen zu dem einen, in dessen Ebenbild sie geschaffen wurden.“[1]

6. An Pfingsten kehrt Gott den Fluch von Babel um

Was in Babel ein Zeichen des Fluches und eine Strafe für die Menschheit war, wird an Pfingsten zum Zeichen der Erlösung und der Hoffnung: Sprachen. Nachdem Jesus seinen Geist auf die Jünger ausgegossen hat, fangen sie an, in ihnen bis dahin gänzlich unbekannten Sprachen Gott anzubeten. Auf übernatürliche Weise „verwirrt“ er die Sprachen hier noch einmal, womit das Pfingstfest in Jerusalem zu einem Gegenstück zu Babel wird. Ausgehend von diesen übernatürlichen Ereignissen um Pfingsten herum, bei denen die neutestamentliche Gemeinde zum Vorschein kommt, verbreitet sich das Evangelium in rasantem Tempo in der ganzen Welt. Menschen, die aufgrund ihrer Sprache auf der Welt verstreut leben, fangen an, in ihrer Sprache Gott anzubeten. Indem die Jünger und die durch sie gegründeten Gemeinden den Auftrag Jesu ausführen, erfüllen sie gleichzeitig auch den Auftrag an Adam aus 1. Mose 1 – die Erde füllt sich mit der Anbetung Gottes.

7. Pfingsten ist ein Vorgeschmack auf die neue Schöpfung

Was an Pfingsten geschah, ist trotz der spektakulären Ereignisse nur ein winzig kleiner Vorgeschmack auf Gottes neue Schöpfung, wo seine Kinder in harmonischer Gemeinschaft für immer mit ihm leben werden. Dort wird es dann für immer Anbetung von Menschen aus allen Völkern, Nationen und Sprachen geben. Gottes Schöpfungsauftrag an Adam wird Wirklichkeit. Die ganze Erde wird voll sein von der Verherrlichung Gottes. Ein neues Eden, auf das das alte nur ein Vorgeschmack war.

Der rote Faden

Durch die ganze Bibel zieht sich wie ein roter Faden die Geschichte, wie Gott selbst den Auftrag an Adam erfüllt und die ganze Erde mit seiner Herrlichkeit füllt. Er selbst hat Mission ins Leben gerufen und beruft jetzt uns, ein Teil davon zu sein. Die ganze Erde soll mit Gottes Herrlichkeit erfüllt und Menschen aus allen Völkern der Welt sollen in die Anbetung geführt werden – das ist Gottes Ziel. Er versprach Abraham in 1. Mose 12, alle Völker der Welt durch ihn zu segnen, und unmittelbar davor, in 1. Mose 10, offenbarte er, dass diese unterschiedlichen Völker sich primär durch ihre unterschiedlichen Sprachen definieren.

„Was in Babel ein Zeichen des Fluches und eine Strafe für die Menschheit war, wird an Pfingsten zum Zeichen der Erlösung und der Hoffnung.“
 

Alle Völker der Welt meint also alle Volksgruppen, die unterschiedliche Sprachen sprechen. Sprache ist der entscheidenden Schlüssel und Marker. Auf der ganzen Welt sollen und werden Menschen aus allen Sprachen eines Tages Gott anbeten.

Unser Privileg

Stell dir vor, du wächst in China auf und sprichst Kon Keu. Es gibt keine Gemeinde und keine Bibel in deiner Sprache. Dann sprichst du eine von ca. 3.000 Sprachen, in denen die Situation ähnlich ist. Während die Not groß ist und es überall mehr Gemeinden und mehr Anbeter Gottes braucht, lasst uns besonders die Volksgruppen in den Fokus rücken, die eine Sprache sprechen, in der es noch überhaupt keine Gemeinde oder aktive Gemeindegründung gibt. So stellt Gott auf der ganzen Welt Anbetung wieder her und erfüllt die Verheißung an Abraham.

Natürlich brauchen wir auch in Deutschland und Europa mehr Gemeinden, aber wir sollten gleichzeitig bemüht sein, in irgendeiner Weise dazu beizutragen, dass das Evangelium auch die Sprachgruppen der Welt erreicht, in denen es noch keine Gemeinden und Anbeter Gottes gibt. Wir haben als Christen das Privileg, Teil einer Mission sein zu dürfen, deren Ausgang wir schon kennen. Wir wissen, dass unsere Arbeit nicht umsonst ist, sondern dass Gott seine Gemeinde baut und mit oder ohne uns an sein Ziel kommen wird. Lasst uns also alles tun, damit – wie die Herrnhuter Brüder zu sagen pflegten – das Lamm den Lohn seiner Leiden empfängt.


1 Chad Bird, „The ‚Great Commission‘ Is not in Matthew but Genesis“, 14.08.2021, online unter: https://www.1517.org/articles/the-great-commission-is-not-in-matthew-but-genesis (Stand: 11.04.2024).