Hilfe, Gott hat mein Gebet nicht erhört!
Verschlossene Türen
„Wenn es aber jemand unter euch an Weisheit mangelt“, heißt es in Jakobus 1,5, „so erbitte er sie von Gott, der allen gern und ohne Vorwurf gibt, so wird sie ihm gegeben werden.“ Nach 1. Johannes 5,15 wissen wir, „dass er uns hört, um was wir auch bitten, so wissen wir, dass wir das Erbetene haben, das wir von ihm erbeten haben.“ Und unser Herr Jesus versichert uns: „Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan“ (Mt 7,7). „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch zuteil werden“ (Joh 15,7). „Was auch immer ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, er wird es euch geben“ (Joh 16,23).
„Das Problem der ‚unerhörten Gebete‘ ist eines, mit dem wir alle rechnen müssen.“
Das Zeugnis der Heiligen Schrift über das Gebet ist klar, konsequent und mutig. Theoretisch sollte uns dies zum Gebet ermutigen, doch in der Praxis sind die Dinge nicht immer so unkompliziert und tröstlich. Das Problem der „unerhörten Gebete“ ist eines, mit dem wir alle rechnen müssen. Was wir in der Heiligen Schrift hören, scheint oft im Widerspruch zu dem zu stehen, was wir im Alltag erleben. Häufig erhält man vom Vater nicht, „was auch immer wir erbitten“. Man klopft und klopft und die Tür scheint nie geöffnet zu werden. Welche Hilfe könnten das umfassende biblische Zeugnis und die christliche Weisheit in solch einer schmerzlichen Situation bieten?
Sünde
Eine erste wichtige, aber auch unzureichende Überlegung ist, dass Sünde die Erhörung von Gebeten behindert. Wenn Jesus verspricht, dass der Vater „alles, was ihr bittet“ gewährt, stellt er klare Bedingungen. Seine Verheißung in Johannes 16,23 bezieht sich nur auf Gebete, die „in meinem Namen“ erbeten werden, also in Übereinstimmung mit Jesu Charakter und Zielen, zu seiner Ehre und aufgrund seiner priesterlichen Vermittlung und Vertretung. Johannes 15,7 sagt, dass wir, wenn wir in Jesus bleiben – was unmittelbar damit verbunden ist, dass seine Worte in uns bleiben –, den Vater vertrauensvoll anflehen können. Aber in dem Maße, in dem wir nicht in Christus bleiben und stattdessen in Sünde verharren, in dem Maße, in dem wir die Worte Jesu ablehnen und stattdessen unseren eigenen sündigen Willen verfolgen, in dem Maße können wir kaum mit problemlosen Gebetserfahrungen rechnen (vgl. auch 1Petr 3,7).
Natürlich ringen diejenigen, die wissentlich in Sünde leben, wahrscheinlich nicht mit existentiellen Ängsten bezüglich unbeantworteter Gebete. Manchmal aber sind wir uns der Sünde, die unser Flehen behindert, in gewisser Weise nicht bewusst. Seltsamerweise ist es möglich, mit Eifer dafür zu beten, dass Gott unser götzendienerisches Verhältnis zu Geld, Nation, Erfolg, Familie oder Gesundheit unterstützt (vgl. Jak 4,3–5). In solchen Fällen rationalisieren wir natürlich unsere Sünde und unseren Götzendienst, etwa weil es alle tun und es „normal“ ist. Oder wir entziehen uns der Verantwortung, weil wir ja „niemandem direkt schaden“. Vielleicht sind wir uns unserer selbstsüchtigen Gewalttätigkeit und Lieblosigkeit einfach nicht bewusst und sind blind dafür, wie unser Streben dazu beiträgt, die Elenden zu unterdrücken (vgl. Jes 58,3b–4.6–7.10). Mit solchen Erklärungen, Ausflüchten oder einfacher Vergesslichkeit können wir Gott täglich aufrichtig suchen und seine Wege kennenlernen wollen, aber schockiert sein, wenn er unsere Gebete nicht erhört (vgl. Jes 58,2–3).
Es ist also eine weise Praxis für das Gebetsleben, dem Sündenbekenntnis und der Reue regelmäßig Raum zu geben, sowohl in der Gemeinschaft als auch individuell. Ebenso wichtig ist es, sich durch regelmäßige Zeiten der Stille vor dem Wort demütig dem Geist zu öffnen, der ansonsten unbemerkte Bereiche der Sünde und des Götzendienstes aufdeckt (vgl. Joh 16,7–11).
Unwissenheit
Sowohl die Schrift als auch die Erfahrung lehren uns, dass wir oft beten können und, obwohl wir offensichtlich nicht in einer Sünde verharren oder das überführende Wirken des Heiligen Geistes ignorieren, Gott trotzdem nicht antwortet. Wir können oft in Jesu Namen um eindeutig gute Dinge beten – die Bekehrung einer ungläubigen Familie, die Gesundheit unserer Ortsgemeinde, den Sieg über eine Sucht oder gesellschaftliche Ungerechtigkeit – und trotzdem die gleiche Erfahrung machen wie R.S. Thomas in einer Gemeinde auf dem Land:
„Zu einem, der niederkniete, kam kein Wort,
Nur das Lied des Windes, der die Lippen
Der ernsten Heiligen im starren Fensterglas traurig macht,
Oder das trockene Flüstern unsichtbarer Flügel,
Von Fledermäusen, nicht Engeln, im hohen Dach.
Wurden sie von der Stille gestört?“[1]
Wir können im Grunde die gleiche Antwort geben wie oben: Unsere Gebete sind vielleicht nicht im Namen Jesu und stimmen nicht mit seinem Charakter und seinen Zielen überein oder dienen nicht seiner Ehre. Doch hier liegt das Problem nicht in unserer Ungerechtigkeit, sondern in unserer Unwissenheit. Unsere Unwissenheit ist in solchen Fällen weniger schuldhaft (wie bei den Menschen in Jesaja 58 und Jakobus 4), sondern eher auf unsere Endlichkeit und Schwäche zurückzuführen.
Vielleicht haben wir ein unterentwickeltes Gespür für Gottes Wesensart und die Dinge, für die er sich einsetzt, sodass wir in unserem Verständnis, also auch in dem, wofür und wie wir beten, reifen müssen. Jeder Christ befindet sich auf dem Weg des Glaubens und sucht nach Einsicht. Jeder Christ muss lernen, wie man richtig betet (vgl. Lk 11,1; Röm 8,26).
Vielleicht kennen wir zwar den allgemeinen Kern von Gottes Absichten und Wegen, aber wir wissen nicht, wie sie in unserer Zeit und an unserem Ort konkret aussehen. Abraham kannte Gottes Verheißung, alle Völker durch seine Nachkommen zu segnen, und glaubte daran. Er betete inbrünstig, dass sein erstgeborener Sohn Ismael derjenige sein möge, durch den dieser Segen kommen würde (vgl. 1Mose 17,18). Doch Gott antwortete mit einem sofortigen Nein (vgl. 1Mose 17,19). Schließlich gab Gott Abraham nicht genau das, worum er gebetet hatte, sondern den eigentlichen Kern dessen, wonach er sich sehnte und was er wirklich brauchte: den Sohn (Isaak), durch den er, alle seine Kinder und alle Familien der Erde gesegnet werden würden.
„Jeder Christ muss lernen, wie man richtig betet.“
Vielleicht wissen wir nicht, wann Gott unsere Gebete erhört. Wir beten häufig und inbrünstig: „Dein Reich komme! Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel!“ Wenn wir nach dem Gebet die Augen öffnen und uns umsehen, sehen wir noch nicht viel von einer Antwort (vgl. Hebr 2,8). Uns schmerzt nicht nur die offensichtliche Abwesenheit des Reiches Gottes, sondern auch das Schweigen, das auf unsere Gebete zu folgen scheint. Dieser Schmerz wird aber nicht ewig andauern. Nach Offenbarung 8,3–5 bewahrt Gott in einer Schale alle „Gebete der Heiligen“ auf, um sie am letzten Tag auf der Erde auszugießen und das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens zu bringen, nach dem wir uns sehnen.
Unwissenheit ist oft eine Quelle unseres Kummers im Gebetsleben. Wir dürfen aber auf unserem Glaubensweg, der nach Erkenntnis strebt, nicht aufgeben, Gott ernsthaft um die Erfüllung unserer Herzenswünsche zu bitten. Vielmehr müssen wir der Bitte des Mannes aus Markus 9,24 folgen: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Mit demütigen, offenen Händen müssen wir beten, wie unser Herr Jesus selbst betet: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“
Vertrautheit
Es mag stimmen, dass unsere Frustration im Gebet oft mit unserer Unwissenheit zusammenhängt, aber das ist wahrscheinlich nicht sonderlich tröstlich. Und obwohl wir anerkennen müssen, dass Schuld unsere Gebete behindern kann, können wir auch zu stark dazu neigen, das Problem unerhörter Gebete dadurch „lösen“ zu wollen, dass wir versuchen, bessere, längere und vermeintlich umfassendere Sündenbekenntnisse abzulegen. Unsere selbstsichere, sich selbst rechtfertigende Neigung kann selbst dann zum Vorschein kommen, wenn wir Buße tun. Wir brauchen einen dritten Weg.
Es ist von entscheidender Bedeutung, das Zeugnis der Heiligen Schrift anzunehmen, dass Gott unsere verzweifelten Bitten hört – alle Bitten, auch die, die er nicht zu erfüllen scheint. Als Gott „Nein“ zu Abrahams Flehen sagt, fügt er hinzu: „Ich habe dich erhört“ (1Mose 17,20). Gott muss so etwas nicht explizit sagen, aber solch eine ausdrückliche Zusicherung ist notwendig, um unsere aufgewühlten Seelen zu trösten. Wenn Gott auf unser Flehen mit einem „Nein“ antwortet, so geschieht das nie aus Unachtsamkeit oder Taubheit gegenüber unseren Gebeten im Namen Christi.
Es ist auch wichtig zu wissen, dass Gott damit rechnet, dass wir in unserem Gebetsleben manchmal versucht sein werden, den Mut zu verlieren. Wäre dem nicht so, hätte unser Herr keine Gleichnisse erzählt, um uns für Zeiten zu stärken, in denen Gott nach unserem Empfinden ein ungerechter, unwilliger Richter zu sein scheint (vgl. Lk 18,1–8). Zeiten der „Dürre“ im Gebet, in denen Gott abwesend zu sein scheint, obwohl unser Durst nach ihm groß ist (vgl. Ps 69,3; 63,1), sind keine Fehlentwicklungen im christlichen Leben. Sie sind kein Beweis dafür, dass Gott sich von uns entfernt.
Von zentraler Wichtigkeit ist schließlich, dass wir wieder die Gute Nachricht hören. Insbesondere müssen wir ihre göttlich inspirierte dramatische Form erkennen, die uns leicht entgehen kann. Im Mittelpunkt des dreitägigen Dramas des Evangeliums, zwischen der Kreuzigung Christi am Karfreitag, die unsere Vergebung bewerkstelligt, und seiner Auferstehung am Ostersonntag, die unser Leben sicherstellt, stand ein Karsamstag, an dem die Jünger das Schweigen Gottes erlebten. Das Schweigen Gottes mit all der Verwirrung, Unsicherheit und Angst, die es hervorruft, steht in der Mitte dieser Geschichte. Doch das Schweigen, das die Jünger erlitten, war nicht absolut, obwohl sie es wegen ihrer Sünde verdient hatten. Jesus Christus litt unter dem absoluten Schweigen Gottes, obwohl er es nicht verdient hatte. Er schrie vom Kreuz aus zu Gott, erhielt aber keine Antwort. Er betete, dass der Kelch des Zorns, wenn möglich, von ihm genommen würde, aber seine Bitte wurde mit Nachdruck absolut verweigert. Christus litt unter der Fülle der unerhörten Gebete und starb schließlich, damit wir Sünder mit dem heiligen Gott versöhnt werden können. Und schließlich erstand Christus von den Toten, damit alle, die ihm vertrauen, am jüngsten Tag kein weiteres „Nein“, sondern das größtmögliche „Ja“ erhalten, nämlich die Auferstehung mit Christus zum ewigen Leben.
Für diejenigen, die in Christus sind, ist das absolute Schweigen und die Ablehnung Gottes für immer vorbei. Wir mögen lange beten und keine Antwort erhalten, aber in Christus können wir wissen, dass Gott sich nicht wegen unserer Sünde von uns abgewandt hat.
Er kniete lange,
Und sah die Liebe in einer dunklen Krone
Aus scharfen Dornen, und einen Winterbaum,
Golden mit der Frucht des Körpers eines Mannes.[2]
Wir mögen lange beten, ohne eine klare Antwort zu erhalten, aber das soll uns nicht voller Zweifel vom Vater wegtreiben, sondern uns mit unserem verwirrten Klagen, verzweifelten Bitten und anhaltenden Flehen näher an seine Brust ziehen, wo wir sie in Christi Namen abladen dürfen.
Vielleicht werden wir feststellen, dass diese vertiefte und intensivierte Auseinandersetzung mit Gott, diese vertiefte Vertrautheit mit ihm, sich als notwendiger und besser erweist als alles andere, was wir im Gebet von ihm erbitten könnten. Mehr als dreißig Kapitel lang schrie Hiob zu Gott, und am Ende gab Gott Hiob keine Antwort auf seine Fragen. Vielmehr, so Christina Bieber Lake, „antwortet Gott auf Hiobs Fragen nicht mit Erklärungen, sondern mit sich selbst“.[3] Wenn das Ringen mit unbeantworteten Gebeten bei uns zu einer ähnlichen Entdeckung führt, dann kann sich das „Problem“ als eine starke, seltsame und süße Gnade erweisen.
1R.S. Thomas, „In a Country Church,“ in: R.S. Thomas, Collected Poems: 1945–1990, London: Phoenix, 2000, S. 67.
2Ebd.
3Christina Bieber Lake, „Christ-Haunted: Theology on The Road“, in: European Journal of American Studies 12/3, 2017, online unter: https://doi.org/10.4000/ejas.12277 (Stand: 20.07.2024).