Jeder ist ein Theologe

Rezension von Stefan Beyer
29. August 2024 — 8 Min Lesedauer

R.C. Sproul war ein amerikanischer Pastor und Theologe, der komplexe theologische Themen auf einzigartige Weise einfach erklären konnte. Er ist vor allem durch seinen Mediendienst Ligonier bekannt, durch den seine Vorträge weltweit verbreitet wurden und werden. In diesen meist halbstündigen Präsentationen erläuterte Sproul ein Thema mittels einfacher Begriffe und einer Kreidetafel, sodass am Ende auch ein Laie davon profitieren konnte. Das Buch Jeder ist ein Theologe setzt diese Tradition fort. Sproul hat hier eine Systematische Theologie verfasst, in der jedes Kapitel so eingängig ist wie einer seiner Vorträge. Man benötigt pro Kapitel nur etwa sieben Minuten und erhält ein grundlegendes Verständnis des theologischen Inhalts.

„In unserer oft durch Oberflächlichkeit geprägten Zeit ist es dringend notwendig, dass wir in unserem Glauben fest gegründet sind.“
 

Vorweggenommen: Ich kann das Buch sehr empfehlen. Es eignet sich hervorragend als Einstieg in die Systematische Theologie und kann in Gemeinden breit verteilt werden. In unserer oft durch Oberflächlichkeit geprägten Zeit ist es dringend notwendig, dass wir in unserem Glauben fest gegründet sind. Der Judasbrief ruft uns dazu auf: „Geliebte, da es mir ein großes Anliegen ist, euch von dem gemeinsamen Heil zu schreiben, hielt ich es für notwendig, euch mit der Ermahnung zu schreiben, dass ihr für den Glauben kämpft, der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist“ (Jud 1,3). Um für diesen Kampf ausgerüstet zu sein, bildet das Buch von R.C. Sproul eine optimale Grundlage.

Zum Autor

Das gesamte Werk Sprouls, einschließlich dieses Buches, ist von einem tiefen Respekt und einer Ehrfurcht vor Gott geprägt. R.C. Sproul ist bekannt für seine Betonung der Heiligkeit Gottes. Dieser Schwerpunkt hängt eng mit seinem reformierten Verständnis der Souveränität Gottes zusammen. Durch diese Betonung gewinnt das Buch trotz seiner einfachen und zugänglichen Schreibweise an Tiefgang, was äußerst hilfreich ist.

Sproul vertritt die Unfehlbarkeit der Schrift, weil er an einen großen Gott glaubt, der sich nicht irrt. Er lehrt die freie Gnade, weil Gott souverän ist und uns nichts schuldet, sondern uns aus freien Stücken durch das Opfer seines Sohnes rettet. Unsere Heiligung ist für Sproul von großer Bedeutung, da wir diesem heiligen Gott immer ähnlicher werden sollen. Der Gemeinde misst er eine starke Bedeutung bei, weil wir nicht allein, sondern gemeinsam in die Gegenwart dieses großen Gottes treten. Die Wiederkunft Christi hat für ihn einen besonderen Stellenwert, weil unser Herr dann endlich seine Herrschaft vollständig über sein Volk aufrichten wird.

Sprouls Bibeltreue gründet nicht allein auf einer theologischen Überzeugung von der Inspiration der Schrift, sondern auf seiner persönlichen Erfahrung mit dem großartigen Gott, von dem die Bibel berichtet. Diese Erfahrung möchte er mit seinen Lesern teilen.

Stil und Aufbau

Das Buch ist für theologische Laien konzipiert, ohne dabei oberflächlich zu sein. Jedes Kapitel vermittelt die wichtigsten Gedanken zum jeweiligen Teilaspekt der Theologie. Man sollte nicht erwarten, eine umfassende Systematische Theologie vor sich zu haben, wie sie beispielsweise von Wayne Grudem oder Herman Bavinck verfasst wurden. Dies ist auch nicht Sprouls Absicht. Sein Ziel ist es, das durchschnittliche Gemeindemitglied für Theologie zu begeistern, basierend auf seiner Überzeugung, dass „die Leute aber, die ihren Gott kennen“, fest bleiben werden (Daniel 11,32).

Das Buch ist in acht Teile gegliedert. Jeder Teil umfasst zwischen sieben und acht Kapitel, sodass das Buch insgesamt 60 Kapitel enthält und alle grundlegenden theologischen Themen behandelt. Der Leser kann das Buch als Gesamtheit lesen, aber auch gezielt einzelne Kapitel zu spezifischen theologischen Fragen nachschlagen.

Der Aufbau folgt der üblichen Struktur Systematischer Theologien und vieler christlicher Bekenntnisse. Zunächst wird die Grundlage gelegt, indem die Bibel als Wort Gottes verteidigt wird. Anschließend werden das Wesen und Wirken Gottes erklärt. Darauf folgt die Erläuterung des Evangeliums: beginnend mit der Schöpfung, gefolgt vom Sündenfall und schließlich dem Weg, wie das Opfer Christi Mensch und Gott wieder versöhnt. Logisch schließt sich daran die Lehre der Kirche an, die die Menschen umfasst, die an dieses Erlösungswerk Christi glauben. Im letzten Kapitel behandelt Sproul die Endzeit, das Jüngste Gericht und die Wiederkunft Christi, womit er sein Buch mit den Themen abschließt, die auch die Weltgeschichte zu einem Ende bringen werden.

Theologische Tiefe und Genauigkeit

Beim Lesen erkennt man, dass Sproul aus einem Fundus biblischen und theologischen Wissens schöpft und dieses komprimiert und so verständlich wie möglich wiedergibt. An keiner Stelle entsteht der Eindruck, dass Sproul seinem Thema nicht gerecht wird oder wichtige Aspekte auslässt. Er fügt entsprechende Bibelstellen ein, sodass der Leser die biblische Fundierung seiner Aussagen selbst nachvollziehen kann.

Selbst komplexe theologische Themen wie unterschiedliche Taufverständnisse oder Abendmahlslehren bringt Sproul auf wenigen Seiten verständlich und kompakt zum Ausdruck. Dabei stellt er oft verschiedene Sichtweisen gegenüber. Manchmal wird seine eigene Überzeugung offen ausgesprochen, wie in der Soteriologie, wo er von der souveränen Gnade Gottes ausgeht und eine reformierte Position vertritt. Außerdem spricht er sich als Presbyterianer auch für die Kindertaufe aus. An anderen Stellen – etwa in der Eschatologie – lässt sich seine Position nur erahnen.

Das Buch ist durchweg unpolemisch, selbst wenn Sproul sich offen gegen charismatische Lehren ausspricht und die Einzigartigkeit biblischer Wunder erklärt. Dies verleiht dem Werk eine gewisse Wärme, die in theologischen Diskussionen oft vermisst wird. Er ist kein Luther, der seine theologischen Gegner als „Esel“ bezeichnet. Dennoch wird deutlich, dass er etwa kein Befürworter der Ökumene ist und die Lehren der katholischen Kirche ablehnt, die ein anderes, falsches Evangelium predigt, das letztlich nicht zur Errettung führt.

Sproul bezieht sich in seinem Buch häufig auf die Reformatoren, wodurch die Auseinandersetzung mit der katholischen Lehre immer wieder thematisiert wird. Allerdings stehen Gemeinden heute auch vor anderen Herausforderungen, wie dem theologischen Liberalismus, dem Emotivismus oder dem Islam. Aufgrund seines Fokus auf die Reformation geht Sproul auf diese aktuellen Herausforderungen weniger ein.

Stärken und Schwächen des Buches

Aus dem bisher Gesagten ergeben sich die wichtigsten Vorzüge des Buches. Es ist außerordentlich leicht zu lesen, ideal für den Sommerurlaub oder im Rahmen einer Jüngerschaftsbeziehung, bei der man wöchentlich ein Kapitel gemeinsam liest und bespricht. Die Kürze der Kapitel ermöglicht es, wie in kaum einem anderen Buch, innerhalb weniger Seiten einen umfassenden Überblick über die Theologie zu gewinnen.

In dieser Knappheit kann jedoch auch eine Schwäche liegen, da viele Themen nur angeschnitten werden können und die Verästelungen der theologischen Themen naturgemäß nicht mehr in das Format dieses Buches passen, sondern selbstständig recherchiert werden müssen. Möglicherweise verstehen viele Leser dieses Buch aber gerade als Einladung dazu, sich intensiver mit Theologie zu befassen, weitere theologische Bücher zu lesen oder sogar Originalschriften der Reformatoren zu studieren. Dies wäre auf jeden Fall ein Gewinn und würde unsere Kirchengemeinden im Glauben mündiger und fester verwurzelt machen.

Erwähnenswert ist auch die Übersetzung, die an manchen Stellen verbesserungswürdig erscheint. Besonders bei theologischen Fachbegriffen wirkt die Übersetzung teilweise hölzern, da englische oder lateinische Begriffe oft direkt ins Deutsche übertragen worden sind. Hier hätte man durch geläufigere deutsche Begriffe eine größere Verständlichkeit erzielen können. Möglicherweise müssen wir im deutschsprachigen Raum aber auch erst wieder neu lernen, auf einfache Weise Theologie zu betreiben, sodass sich echte deutsche Begriffe für tiefgründige theologische Wahrheiten herausbilden. Zu oft muss man an dieser Stelle den lateinischen Begriff eindeutschen.

Persönliches Fazit

Ich habe das Buch mit großem Gewinn gelesen, obwohl ich bereits viele theologische Werke studiert habe. Es stellt meiner Meinung nach eine wertvolle Ressource für unsere deutschsprachigen Gemeinden dar. Viele Gemeindemitglieder sind theologisch wenig gebildet. Der Nutzen von Theologie für das persönliche Glaubensleben wird oft infrage gestellt. R.C. Sproul zeigt, dass dies nicht der Fall sein muss. Er demonstriert, dass Theologie ein Fenster zu einem tieferen Verständnis unseres herrlichen Gottes und seines Werkes für uns in Jesus Christus öffnen kann.

„R.C. Sproul demonstriert, dass Theologie ein Fenster zu einem tieferen Verständnis unseres herrlichen Gottes und seines Werkes für uns in Jesus Christus öffnen kann.“
 

Diese Einsichten können zu vertiefter Anbetung führen, zu einer Festigung im Glauben, die auch die Stürme des Lebens und Widerstände aushält, sowie zu einer Heiligung des Lebens. Denn für Sproul war die Heiligkeit Gottes stets der größte Antrieb dafür, nach Heiligkeit zu streben.

Das Buch kann sowohl für Neueinsteiger als auch für erfahrene Gläubige von Wert sein. Es kann als empfehlenswerter Beitrag zur theologischen Bildung in Gemeinden betrachtet werden.

Buch

R.C. Sproul, Jeder ist ein Theologe: Einführung in die Systematische Theologie, Bad Oeynhausen: Verbum Medien, 2024, 371 Seiten, 22,90 EUR.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.