Pastor, investiere in die nächste Generation

Artikel von Mike Bullmore
6. November 2024 — 7 Min Lesedauer

In meinem Leben und Dienst verspüre ich eine beständige Versuchung. Es ist die Versuchung, einfach meinen eigenen Lauf bis zum Ziel zu vollenden.

Du fragst dich vielleicht, was daran falsch ist. Das klingt doch sehr biblisch – könnte fast von Paulus sein: „Ich will einfach nur den Lauf vollenden. Ich will nicht disqualifiziert werden. Ich will bis zum Ende treu sein.“ Das ist schön und gut – es sei denn, mein Verständnis von Treue zum Evangelium beschränkt sich auf die mir zugewiesene Lebenszeit.

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber angesichts der Herausforderungen und der Last des pastoralen Dienstes kann ich manchmal nur noch sagen: „Herr, hilf mir, bis ans Ende treu zu sein.“

Die Kehrseite dieser Versuchung ist die schlichte Tatsache, dass es sehr schwer ist, sich für die Zukunft zu begeistern und die Leidenschaft dafür aufrechtzuerhalten – vor allem wenn diese Zukunft nicht in Sichtweite ist. Es fällt mir leicht, mich für das Wohlergehen meiner Kinder zu engagieren. Es ist einfach, dieses Engagement auf ihre Kinder zu übertragen. Aber über wie viele Generationen hinweg kann man diese Leidenschaft aufrechterhalten? Alles, was über drei Generationen hinausgeht, wird für mich schnell abstrakt.

Ich sage das nur, um zu verdeutlichen, dass es selbst in unserem Verständnis von etwas so Gutem wie der Treue zum Evangelium schwierig ist, die Zukunft klar und deutlich vor Augen zu haben. Dies kann dazu beitragen, dass wir dazu neigen, die Treue zum Evangelium zu sehr in Bezug auf unsere eigene Amtszeit zu definieren.

Um meinen Standpunkt positiv zu formulieren: Zu unserem treuen Dienst am Evangelium gehört eine Investition in den Dienst am Evangelium, der nach dem unseren kommen wird. Ich sehe dies in den ersten beiden Kapiteln von 2. Timotheus dargelegt.

Investiere in treue Männer

Paulus sagt in 2. Timotheus 1,14: „Dieses edle, anvertraute Gut bewahre“. Einige Verse später beschreibt er Timotheus einen Aspekt dieses „Bewahrens“: Es besteht darin, das ihm Anvertraute wiederum an „treuen Menschen“ weiterzugeben. Zu diesem „Anvertrauen“ gehört auch, sie zu lehren, dasselbe an andere weiterzugeben (vgl. 2Tim 2,2).

„Die Investition in die nächste Generation ist ein wesentlicher Teil des treuen Dienstes am Evangelium. Sie ist kein optionales Zusatzprodukt.“
 

Paulus sagt Timotheus, dass die Investition in die nächste Generation ein wesentlicher Teil des treuen Dienstes am Evangelium ist. Sie ist kein optionales Zusatzprodukt. Mit anderen Worten: Wenn Paulus Timotheus auffordert, das Evangelium zu „bewahren“, dann ruft er ihn nicht nur dazu auf, die Integrität des Evangeliums vor den Auswirkungen falscher Lehren zu schützen. Er ruft Timotheus auch auf, dafür zu kämpfen, den Fortbestand des Evangeliums gegen die Auswirkungen der Erosion im Laufe der Zeit zu bewahren, sogar über Timotheus’ Zeit hinaus.

Ich möchte noch einmal betonen: Ein wesentlicher Bestandteil unserer Treue im Dienst am Evangelium ist diese Investition in eine nachfolgende Generation von Dienern am Evangelium.

Vorsicht vor dem Hiskia-Syndrom

Ich glaube, die größte Herausforderung ist das, was wir als „zu meiner eigenen Lebenszeit“-Tendenz bezeichnen könnten. Für diese Tendenz ist ein gewisser israelitischer König aus dem Alten Testament ein Beispiel. Vielleicht erinnerst du dich an die Geschichte. Hiskia ist König von Juda. Sanherib, der König von Assyrien, kommt zum Angriff. Hiskia betet mit Jesajas Hilfe und siegt. Danach wird er krank und erhält von Jesaja die Anweisung, sein Haus in Ordnung zu bringen. Hiskia schreit zu Gott und Gott gewährt ihm fünfzehn weitere Jahre. Als der babylonische König davon erfährt, schickt er Gesandte, angeblich um Hiskia zu seiner Genesung zu gratulieren. In seinem dümmlichen Stolz zeigt Hiskia ihnen alle nationalen Schätze. Die Gesandten kehren nach Babylon zurück. Jesaja bittet um einen Bericht über ihren Besuch. Hiskia erzählt Jesaja, was er getan hat. Daraufhin sagt Jesaja die kommende babylonische Gefangenschaft voraus. Und dann dies:

„Da sprach Hiskia zu Jesaja: Das Wort des HERRN, das du geredet hast, ist gut! Denn, sprach er, es wird ja doch Friede und Sicherheit sein zu meinen Lebzeiten!“ (2Kön 20,19)

Was diesen Bericht zu einer noch eindringlicheren und ernüchternderen Warnung für uns macht, ist die Tatsache, dass Hiskia einen großen Einfluss auf die Neuausrichtung des geistlichen Lebens in Juda hatte: die Reinigung des Tempels, die Wiederherstellung des Tempelkults, die Wiedereinführung des Passahfestes und die Neuordnung der Priesterschaft. Das kannst du im Bericht in 2. Chronik nachlesen. Er leistete einen beeindruckenden Beitrag in sehr wichtigen Bereichen.

Aber dann gibt es diese Episode in seinem späten Leben, die sowohl seinen Stolz als auch seine Kurzsichtigkeit verrät. Trotz all seines Eifers fehlte es ihm offenbar an Eifer für das, was nach seinem Ableben geschah.

Vermeide zeitliche Kurzsichtigkeit

Richard Baxter bringt dies in seinem Buch The Reformed Pastor auf wunderbare Weise auf den Punkt. Er schreibt:

„Wenn du Gott in deinem Leben verherrlichen willst, musst du vor allem auf das öffentliche Wohl und die Ausbreitung des Evangeliums in der Welt bedacht sein.“

Die Alternative, so Baxter, sei

„eine private, enge Seele, die immer nur mit sich selbst beschäftigt ist und nicht sieht, wie es in der Welt zugeht. Ihre Wünsche und Gebete und Bemühungen gehen nicht weiter, als sie sehen oder reisen können.“

Baxter spricht von der Möglichkeit einer geographischen Kurzsichtigkeit, aber wir könnten auch einer zeitlichen Kurzsichtigkeit schuldig sein. Das war der Fall bei Hiskia.

Baxter ruft seine Leser zu genau dem Gegenteil auf – zu einer großen Seele, die „die ganze Erde betrachtet und wissen will, wie es um die Sache und die Diener des Herrn steht“. Paulus’ Worte in 2. Timotheus rufen uns zu genau demselben auf, aber mit Blick auf die Zukunft: „Wie wird es mit der Sache weitergehen?  Und was kann ich tun, um diese Sache in die Zukunft zu tragen?“

„Wir sollten uns nicht einfach zufriedengeben und sagen: ‚Solange zu meinen Lebzeiten alles gut läuft …‘“
 

Wir sollten uns nicht einfach zufriedengeben und sagen: „Solange zu meinen Lebzeiten alles gut läuft …“

Bemühe dich um eine Langzeit-Vision

Im Gegensatz zu Hiskias Kurzsichtigkeit sehen wir Paulus’ Weitsicht, die angesichts seines bevorstehenden Abschieds besonders deutlich wird. Denk daran, dass dies derselbe Brief ist, in dem er sagt: „Die Zeit meines Aufbruchs ist nahe“ (2Tim 4,6).

Darum bittet er Timotheus, auf eine bestimmte Weise über den Dienst am Evangelium zu denken. Ebenso bittet er Timotheus, die nächste Generation darin zu schulen, auf diese Weise über den Dienst am Evangelium zu denken. Ebenso fordert auch Gott uns dazu auf, auf diese Weise über den Dienst am Evangelium zu denken. Für einen treuen Dienst am Evangelium ist es notwendig, in die nächste Generation von Dienern am Evangelium zu investieren.

Dies sollte sich in unserem wöchentlichen Leben ganz konkret niederschlagen. Dies ist eine Verantwortung, die die Gemeinde gemeinsam trägt, aber sie erfordert von dir eine ganz bestimmte Investition an Zeit, Energie und Zielstrebigkeit.

Investiere in die nächste Generation

Wie kann das konkret aussehen? Ich schlage vier Möglichkeiten vor.

Erstens: Widme dich dem treuen Dienst am Evangelium, insbesondere dem Predigen. Wenn wir das Evangelium treu predigen, ist das der beste Weg, um andere Menschen darin zu schulen, es auch zu tun. William Perkins schrieb:

„Jeder Prediger soll also sowohl in seiner Lehre als auch in seinen Gesprächen so reden, dass er seine Berufung ehrt, damit er andere dazu bringt, seine Liebe zu ihr zu teilen.“

Zweitens: Achte auf junge Männer verschiedenen Alters in deiner Gemeinde. Achte darauf, wie sie deine Predigt aufnehmen. Achte darauf, wie sie deine Predigt verarbeiten. Achte auf eine sich vertiefende Liebe zu Gott und seinem Wort. Bleib aufmerksam.

Drittens: Schaffe Kontexte, in denen die jungen Männer, die dir auffallen, üben und im Umgang mit dem Wort wachsen können.

„Bete mit einem Auge und einem Herzen für die Zukunft und den anhaltenden Siegeszug des Evangeliums in der Welt, bis Christus kommt.“
 

Viertens – dies darf nicht unausgesprochen bleiben: Bete ganz besonders darum, dass Gott die nächste Generation von Dienern am Evangelium heranwachsen lässt. Bete für deinen Nachfolger, aber bete auch für mehr als das. Bete mit einem Auge und einem Herzen für die Zukunft und den anhaltenden Siegeszug des Evangeliums in der Welt, bis Christus kommt.