Warum du kein Missionar werden solltest
Ist Missionsarbeit die Aufgabe jedes Christen?
Ich weiß nicht mehr, wann ich sie zum ersten Mal gehört habe, aber seitdem kam sie bestimmt schon über hunderte Male in verschiedenen Reden und auf zahllosen Seiten vor. Die Aussage kommt normalerweise von Menschen, die das Evangelium und die Missionsarbeit ernsthaft lieben, und auch wenn es viele Varianten des Satzes gibt, so ist doch die Kernaussage immer dieselbe: „Du brauchst keinen Grund, um in die Mission zu gehen; du brauchst einen Grund, um hier zu bleiben.“
Ich muss gestehen, ich mag diese Aussage nicht. Sie klingt zwar durchaus ansprechend, aber dahinter steckt keine saubere Theologie. Eins der Probleme, die ich mit diesem Satz habe, ist die Voraussetzung, dass es grundsätzlich Gottes Plan ist, dass (fast) alle Christen in die Mission gehen. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wenn ich auf all die Probleme einginge, die sich daraus für diese und andere Themen ergeben: die Rolle der lokalen Ortsgemeinde, die Bedeutung von Weisheit und Selbstkenntnis, oder auch der hohe Standard, der für diejenigen gilt, die tatsächlich als Missionare ausgesandt werden. Unabhängig von all diesen Themen sollte man aber realisieren, dass es gute biblische Gründe gibt, kein Missionar zu werden. Ironischerweise glaube ich tatsächlich, dass es der langfristigen Verbreitung des Evangeliums weltweit deutlich helfen würde, wenn mehr Menschen (und lokale Gemeinden) besser über die guten Gründe informiert wären, kein Missionar zu werden. Hier sind sechs davon:
1. Eine Motivation, die auf Schuldgefühlen gründet
Wenn der Hauptgrund, warum du über den Weg in die Mission nachdenkst, ein Gefühl von unwillkommener Verpflichtung oder die Frucht manipulativer und herzzerreißender Appelle ist, dann möchte ich dich ermutigen, das Ganze zu überdenken. Das soll nicht heißen, dass es nicht viele Menschen gibt, die sich schuldig machen, weil sie ihre persönliche Bequemlichkeit über die Bedürfnisse des Evangeliums für die Völker stellen, aber ein Schuldgefühl ist nicht die Lösung. Die Lösung ist eine größere Liebe und mehr Hunger nach Gottes Herrlichkeit! Gott ringt nicht verzweifelt die Hände und hofft besorgt, dass seine reifen Felder nicht vor der Ernte verderben. Ja, die Aufgabe ist dringend. Aber unsere Rolle gleicht eher der der biblischen Königin Esther, die zu radikaler Treue gedrängt wurde, weil sie wusste, dass Gottes Plan auf jeden Fall mit oder ohne ihre Beteiligung ausgeführt werden würde (vgl. Est 4,2–14). Die Frage für sie war, ob sie sich bereitwillig an Gottes großem Vorsatz der Befreiung beteiligen und seinen unaufhaltsamen Plan auch zu ihrer Zuflucht machen würde. Dass Gottes Plan ohne sie scheitern könnte, wurde nicht einmal angedeutet. Der Herr regiert! Er führt alles nach seinem Willen aus! Sein Sohn wird die für sich beanspruchen, für die er gestorben ist! Aber werden wir die Freude erleben, die es mit sich bringt, in seinem unfehlbaren Plan besonders hart zu arbeiten, wenn unsere Motivation hierfür Schuldgefühle oder Verpflichtung ist? Die Liebe zu Gottes Herrlichkeit und das Vertrauen in seinen Plan sind der beste Treibstoff für die Mission, nicht ein Schuldgefühl aufgrund menschlicher Not.
2. Ungeprüfter Eifer
Manchmal ist es leicht, sich für das vermeintliche Abenteuer und den Ruhm der Missionsarbeit zu begeistern, vor allem, wenn man nicht viel mit Mission zu tun hat. Und manchmal ist es leicht, dass die Freude über unsere kürzliche Errettung in ein Verlangen umschlägt, das viel Begeisterung, aber wenig Information und Selbstreflexion beinhaltet. Aber wenn du noch keine Gelegenheit hattest, mehr über den langsamen, gewöhnlichen und geduldsprüfenden Aspekt der Missionsarbeit zu erfahren, dann solltest du vielleicht einen Gang zurückschalten, mehr Rat einholen und es dir noch einmal überlegen. Der größte Teil der Missionsarbeit besteht einfach darin, ein normales, gewöhnliches Christenleben um des Evangeliums willen an einen neuen Ort zu verlegen. Das ist selten glamouröser als das Leben irgendwo anders. Denk einmal nüchtern (und hoffnungsvoll) darüber nach.
3. Der Wunsch nach einem Neubeginn
Im Laufe der Jahre habe ich eine Reihe aufrichtiger, aber problembeladener Menschen erlebt, die sich von der Missionsarbeit angezogen fühlten – nicht weil sie von ihrer Gemeinde unterstützt wurden, sondern weil es ihnen wie eine Chance auf einen Neuanfang erschien. Sich selbst zu entfliehen und einen Neustart als „Ich: Version 2.0“ zu versuchen, trieb sie zur Missionsarbeit. Es erfordert viel Selbsterkenntnis und, offen gesagt, eine Menge Demut und ehrlichen Input von Leuten, die einen gut kennen, um herauszustellen, ob dies der Fall ist. Du solltest dich aber unbedingt vor diesem Denken hüten und ehrlichen Rat von den Menschen einholen, die dich kennen. Wenn das Ziel darin besteht, dich selbst neu zu erfinden, ist das Missionsfeld vielleicht nichts für dich, zumindest nicht jetzt.
4. Eine ungeduldige Natur
Die biblische Definition von treuer Evangeliumsarbeit besteht darin, dass wir immer und immer wieder das tun, was Gott uns aufgetragen hat, und zwar geduldig, bis Gott beschließt, dass unsere Bemühungen Ergebnisse erzielen, oder bis wir sterben, oder bis Christus wiederkommt. Wenn du nicht glaubst, dass du zu den Menschen gehörst, die sich an der Treue erfreuen können, selbst wenn es keine sichtbaren Ergebnisse gibt, solltest du wahrscheinlich kein Missionar werden. Paulus sagte seinem Schützling, dem Missionar Timotheus, deutlich, dass er „mit großer Geduld“ arbeiten müsse, weil die treue Arbeit am Evangelium unser Ausharren und unseren Gehorsam gegenüber Gott überall und oft auf die Probe stellen wird.
„Die Menschen, die eine schnelle, vereinfachte, verwässerte Version des Christentums in sich aufnahmen, scheinen nun gegen das wahre Evangelium geimpft zu sein.“
Die Missionsarbeit ist da keine Ausnahme. In den letzten Jahren sind allzu oft ungeduldige Christen nach Übersee gegangen und haben, als die Früchte ausblieben, beschlossen, die Botschaft zu ändern oder biblische Anweisungen zu ignorieren. Sie ließen sich neue, schnellere, billigere und einfachere Methoden einfallen, um eine Menschenmenge anzuziehen und sichtbare Ergebnisse zu erzielen. Doch das Endergebnis war katastrophal – die Menschen, die eine schnelle, vereinfachte, verwässerte Version des Christentums in sich aufnahmen, scheinen nun gegen das wahre Evangelium geimpft zu sein. Das ist tragisch. Wenn du also ungeduldig bist oder dich leicht von neuen Ansätzen, Abkürzungen und oberflächlichen Erfolgswegen angezogen fühlst, solltest du wahrscheinlich einen Bogen um die christliche Missionsarbeit machen.
5. Mangelnde Überzeugung und Unterstützung der Gemeinde
In der Bibel sehen wir die Ortsgemeinden als Motor für die Ausbreitung des Evangeliums, indem sie bewährte Mitarbeiter aussandten und zuverlässige Gemeinden gründeten. Andere Organisationen oder Gruppen können den Gemeinden zur Seite stehen und diese Bemühungen unterstützen, aber es ist die Ortsgemeinde, die sowohl der Motor als auch das Ziel der Missionsarbeit ist, alles zur Ehre Gottes. Wenn du also mit dem Gedanken spielst, in die Mission zu gehen, aber keine Ortsgemeinde hinter dir steht – eine, die dich gut kennt und dich und deinen Wunsch geprüft und bestätigt hat –, dann halte bitte noch einmal inne. Selbst wenn eine übergemeindliche Gruppe mit einem christlich klingenden Namen bereit ist, dich zu entsenden, ohne dass eine örtliche Gemeinde beteiligt ist, tu es nicht!
6. Neu im Glauben
Nicht alle Gründe, die gegen den Missionsdienst sprechen, sind negativ oder mahnend. Es gibt auch positive, gesunde Gründe. Wenn du also ein frisch gebackener Christ bist oder ein langjähriger Gläubiger, der gerade erst begonnen hat, im Glauben zu wachsen, dann bedenke, wie wertvoll diese Zeit in deinem Leben ist. Wie bei einem Teenager, der in einem glorreichen „Wachstumsschub“ in die Höhe schießt, sind die Phasen des geistlichen Wachstums im Allgemeinen genau das: Phasen.
„Es könnte sein, dass eine zeitlich begrenzte Wachstumsphase deine geistliche Statur für eine zukünftige Zeit des Missionsdienstes umso größer macht.“
Und diese begrenzten Zeiten außergewöhnlichen Wachstums im Evangelium sind kostbar und sollten nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Vielleicht solltest du dich auf das Wachstum und die Reifung im gegenwärtigen Kontext und mit den großzügigen Mitteln, die Gott dir gegeben hat, konzentrieren. Es könnte sein, dass eine zeitlich begrenzte Wachstumsphase deine geistliche Statur für eine zukünftige Zeit des Missionsdienstes umso größer macht.
Was, wenn keine dieser Warnungen auf dich zutrifft?
Was, wenn es die Anziehungskraft von Gottes großer Herrlichkeit (und nicht ein Schuldgefühl ist), die die Opfer der Missionsarbeit als lohnenswert und nicht nur obligatorisch erscheinen lassen? Was, wenn dein Eifer erprobt, informiert und zugleich anhaltend ist? Was, wenn deine Zufriedenheit mit deinen gegenwärtigen Lebensumständen dein Vorhaben überraschend erscheinen lässt, Veränderungen in Betracht zu ziehen, um dich Gottes Missionsfeld in Übersee anzuschließen, – überraschend, aber nicht verzweifelt, sondern durchdacht? Was, wenn dein beharrliches Festhalten an der Treue in deiner aktuellen Situation dieselbe Anstrengung in Übersee tatsächlich machbar erscheinen lässt? Und was, wenn weise und reife Christen um dich herum wissend und positiv über deine Eignung für die kulturübergreifende Evangeliumsarbeit sprechen?
In diesem Fall ermutige ich dich, weiter über den Ruf zur Missionsarbeit nachzudenken, zu beten und dich beraten zu lassen. Ich gehe davon aus, dass die meisten gläubigen Christen ihr Leben in ihrer Heimatkultur ausleben werden. Es gibt viele gute Gründe, genau das zu tun. Aber es gibt auch Gründe dafür, dass einige Christen, die von ihrer Ortsgemeinde identifiziert wurden und sich durch ihre Reife auszeichnen, an Orte gesandt werden, wo Christus nicht bekannt ist. Das mag für die meisten Christen nicht der richtige Weg sein. Für die meisten mag es viele gute Gründe geben, genau dort zu bleiben, wo sie sind. Aber sicherlich sollten einige ausgesandt werden. Vielleicht hat Gott vor, dass du einer von ihnen bist?