J. Gresham Machen

Rezension von Hanniel Strebel
31. Mai 2016 — 5 Min Lesedauer

Wer ein Buch zu lesen anfängt, befindet sich in einem inneren Dialog. Ab dem Moment, in dem er sich mit ihm zu beschäftigen beginnt, antwortet er in seiner Weise, das heißt aus seiner individuellen Lage und Befindlichkeit, aus seinem Erlebten heraus. Diese Besprechung soll einen Einblick in diese Resonanz geben.

Stephen Nichols bietet dem Leser einen geführten Rundgang durch das Leben und Werk des streitbaren US-Theologen Gresham Machen (1881-1937) an. Er tut dies aus einer wohlwollend-zustimmenden Perspektive eines Presbyterianers. Ich gehöre seit kurzer Zeit ebenfalls einer Presbyterianischen Gemeinde an. Ich habe den Eindruck, nach 40 Jahren Odyssee gemeindlich meinen Platz gefunden zu haben.
Das nächste Gefühl ist das eines leisen Misstrauens. Stellt Nichols den Protagonisten zu positiv dar? Neigt er zur Überhöhung? Schleift er Ecken glatt, die eigentlich besser kantig geblieben wären? Das Gefühl verließ mich spätestens nach einem Drittel, als der Autor durch das umfangreiche Werk des Autors führt. Spontan tauchen zudem zwei Wegmarker Machens auf. Nicols spricht gerade von seinem doch sehr eigenen Stil in den Vorlesungen an (zum Beispiel mit der Eigenheit seinen Kopf gegen die Wand zu schlagen). Er verschweigt auch nicht, dass Machen in den 1930ern über dem Entschluss, eine eigene Missionsgesellschaft zu gründen, viele seiner Unterstützer und Freunde verlor.

Ansonsten ziehe ich den Hut vor dem energischen Mann. Dies geschieht aus mehreren Gründen. Zuerst bewundere ich seine Entschiedenheit, nach anfänglichem Herumplämpern das Theologiestudium doch noch aufzunehmen und sich – nochmals einige Wegmeilen später – ordinieren zu lassen. Ebenso war ich erstaunt zu erfahren, dass Machen aus einer einflussreichen Oberschichtfamilie stammte. Nicht nur kannte er US-amerikanische Präsidenten und andere Politiker persönlich. Er machte regelmäßig in den New Yorker Medien Schlagzeilen. Von seiner Vaterseite her erbte er die Gewohnheit Dichter und Literaten in der Originalsprache (Griechisch und Latein) zu lesen. Überhaupt war Machen wissenschaftlich so bewandert, dass seine Werke auch die Bewunderung seiner Gegner hervorriefen und selbst deutsche Theologen in Europa zu Rezensionen veranlassten.

Ein weiterer Grund ist die Breite seiner Schriften. Machen war Neutestamentler mit Schwerpunkt Griechisch und den Erzählungen der Evangelien. Er schrieb zur griechischen Sprache, zur Jungfrauengeburt und zum Apostel Paulus bedeutende theologische Werke. Bekannter ist er ja für seine polemischen Werke „Christentum und Liberalismus“ (1923) und „Was ist Glaube?“ In diesen bewies er seine apologetischen Fähigkeiten. Er wurde übrigens von der Fakultät in Princeton für den Lehrstuhl für Apologetik vorgeschlagen (aber von der Kirche abgelehnt). Er schrieb zudem hunderte von Briefen an regionale und bundesweite Politiker zu Fragen der Bildung, der Ethik und vielen anderen Fragen. Er trennte zwischen der Aufgabe der Kirche, das Evangelium zu verkündigen, und seinem persönlichen Einsatz für Staat und Land.
 
Von seinen Gegnern ist Machen als „Fundamentalist“ bezeichnet worden. Nichols weist überzeugend nach, dass dieser Titel nicht oder nur teilweise zutrifft. Machen war nicht nur fachlich sattelfest, ja brillant. Er war mit seinem enormen politischen Einsatz (zum Beispiel gegen die Prohibition oder gegen die wuchernde Staatsbürokratie) weit entfernt von der politischen Abstinenz der „Fundamentalists“. Zudem verstrickte er sich nicht in die Frage nach dem Ursprung, sondern fokussierte sich auf die zentralen Fragen der Gottheit Christi, seines Sühnetods und des Stellenwerts der Heiligen Schrift.

Persönlich besticht sein großer Einsatz nicht nur für Abgänger des von ihm gegründeten Westminster Seminary – wozu z. B. der spätere Wheaton- und Fuller-Präsident Ockenga gehörte, sondern ebenso seine großen finanziellen Opfer für einen ehemaligen Alkoholiker, dem er über 20 Jahre die Wohnung bezahlte und ihn nachts schon mal von der Straße zusammenlas. 1918/19 verbrachte er ein Jahr als freiwilliger YMCA-Helfer unter den US-amerikanischen Soldaten in Frankreich. Seine Aufgaben waren vielfältig. Hauptsächlich schenkte er jedoch Tausende von Tassen heißer Schokolade aus. Dies tat er nicht in sicherem Abstand zur Front, sondern in unmittelbarer Nähe der Front. Er sah Kameradschaft ebenso wie Grausiges.

Wenn ein Mann bahnbrechende theologische Werke schreibt, ein theologisches Seminar gründet und dann eine Missionsgesellschaft und zum Schluss noch einen neuen Gemeindeverband (Orthodox Presbyterian Church), dann hatte daneben keine Familie Platz. Der passionierte Fahrradfahrer und Bergsteiger blieb ledig, von seiner Mutter bis in ihr hohes Alter treu geistlich begleitet.

Die Lektüre weckte meine Lust nach weiteren Werken von Machen. Manche seiner Werke gibt es günstig für das eBook zu kaufen, darunter auch kürzere Aufsätze. Seine Schriften über die Bildung stehen auf meiner Leseliste ebenso wie seine Aufsätze zum Christentum und der Kultur und dem Klassiker „Was ist Glaube?“. Vor allem steht Machen für mich als geradliniger Vertreter eines an Bibel und Bekenntnissen ausgerichteten Glaubens. Das ging nicht auf Kosten seines Einsatzes in der Welt seines Vaters oder fachlicher Fachlässigkeit. Ich wünsche mir, dass ich am Ende meines Lebens eine ebenso geradlinige Spur ziehen darf. Machen schrieb Stunden vor seinem Tod ein Telegramm an seinen Nachfolger Andrew Murray: „Wäre der aktive Gehorsam unseres Herrn nicht gewesen…“: Ja, wäre Christi Leben und sein vollkommener Gehorsam gegenüber seinem Vater nicht gewesen, sein vollkommener Gehorsam gegenüber seinem Vater nicht gewesen, sein Einsatz wäre vergeblich gewesen.

Eine empfehlenswerte Lektüre zum Thema ist auch John Gresham Machens Christentum und Liberalismus. Wie die liberale Theologie den Glauben zerstört (Waldems, 3L Verlag, 2013).

Buch

Stephen J. Nichols, J. Gresham Machen: A Guided Tour of His Life and Thought, Phillipsburg, N.J.: P & R Pub., 2004.