Peterson, Harari und Holland über Menschenrechte
Einer der aufschlussreichsten Kurse, den ich während meines Studiums belegt habe, befasste sich mit der Moralität von Menschenrechten. Wie bei den meisten Philosophiekursen wurde versucht, die Logik des Offensichtlichen zu erklären und die Sache zu verkomplizieren. In der ersten Hälfte des Kurses haben wir uns angeschaut, wie unterschiedliche Ansätze versuchen, Menschenrechte rational zu begründen und zu erklären, warum sie als verbindlich angesehen werden sollten: Kantisch, utilitaristisch, positiv, sozialkonstruktivistisch und so weiter. (Eine theologische Begründung haben wir gar nicht erst in Betracht gezogen, da man stillschweigend davon ausging, dass man damit ohnehin nicht weit kommen würde.)
Für die meisten Menschen im Westen des 21. Jahrhunderts sind Menschenrechte eine Selbstverständlichkeit. Sie sind, wie es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt, „unveräußerlich“ und „selbstverständlich“. Dass keines der säkularen Programme in der Lage war, Menschenrechte zu garantieren, war jedoch das Einzige, wovon ich am Ende des Kurses überzeugt war. Die Kritik, die jeder Ansatz an den jeweils anderen Ansätzen formulierte, hatte diese untergraben. Soweit mein Blick reichte, konnte keine säkulare, rationale Grundlage das enorme Gewicht eines Konzeptes tragen, dem im zeitgenössischen moralischen Diskurs sowie im internationalen Recht eine so zentrale Rolle zukommt.
In einem Philosophiekurs kann man das mit einem Achselzucken quittieren und einfach weitermachen, sobald man seine Leistung erbracht hat. Was aber passiert in der realen Welt, wenn sich die Grundlage deiner gesamten internationalen Moralordnung als Kaiser ohne Kleider entpuppt? Was passiert, wenn wir entdecken, dass es kein „es gibt“ gibt?
Diese Frage beschränkt sich nicht nur auf Hörsäle und Seminarräume, sondern wird auch in öffentlichen Foren diskutiert. Ein Beispiel dafür ist die jüngste Kontroverse um die Äußerungen von Yuval Harari – öffentlicher Intellektueller, Geschichtsprofessor an der Hebräischen Universität Jerusalem und Autor der Bestseller Sapiens und Homo Deus – zum Thema Menschenrechte. In einem Video, das auf X kursierte, sagte er:
„Mit den Menschenrechten verhält es sich wie mit dem Himmel und Gott: Sie sind nur eine fiktive Geschichte, die wir erfunden haben und verbreiten. Vielleicht eine sehr schöne Geschichte, das mag sein. Eine attraktive Geschichte, die wir gerne glauben würden. Aber es handelt sich eben doch nur um eine Geschichte, nicht um die Realität. Menschenrechte sind keine biologische Realität. So wie Quallen, Spechte und Strauße keine Rechte haben, hat auch der Homo sapiens keine Rechte. Nehmen Sie einen Menschen, schneiden sie ihn auf und schauen Sie hinein: Sie finden sein Blut, das Herz, die Lunge und die Nieren, aber Sie finden dort keine Rechte. Der einzige Ort, an dem man Rechte findet, ist in den fiktiven Geschichten, die Menschen erfunden und verbreitet haben. Und das Gleiche gilt auch im politischen Bereich. Staaten und Nationen sind – genau wie die Menschenrechte und Gott und der Himmel – auch nur Geschichten. Ein Berg ist eine Realität: Sie können ihn sehen, ihn anfassen und sogar riechen. Israel oder die Vereinigten Staaten sind nur Geschichten. Sehr mächtige Geschichten. Geschichten, die wir vielleicht sehr gerne glauben würden, aber trotzdem nur Geschichten. Die Vereinigten Staaten kann man nicht wirklich sehen – man kann sie nicht anfassen, man kann sie nicht riechen.“
Es lohnt sich, über diese Kommentare und die damit verbundene Kontroverse einmal genauer nachzudenken. Was hier zutage tritt, sind einige entscheidende Risse im moralischen Bewusstsein unserer postchristlichen Kultur. Diejenigen, die den Schöpfer- und Erlösergott einer Welt, der das Konzept der Schöpfung (und darum auch der Erlösung) abhandengekommen ist, überzeugend nahebringen wollen, können hier einige Lektionen lernen.
Nur eine Geschichte?
Bedenkt man, dass Harari Atheist und Naturalist ist, überrascht es nicht, dass er eine ziemlich standardmäßige und philosophisch unausgereifte Form des Szientismus vertritt: Eine unwissenschaftliche Wissenschaftsgläubigkeit, die selbst nicht wissenschaftlich verifiziert werden kann. Die einzigen „wirklichen“ Dinge sind biologische Realitäten wie Berge, Käfer und Blut – Dinge, die man testen, schmecken, riechen oder physikalisch beobachten kann.
Auf dieser Grundlage sind Dinge wie Gott, Himmel, Hölle, Nationen und sogar „Menschenrechte“ nicht real – sie sind nette Geschichten, die wir uns erzählen, um mit der Welt zurechtzukommen. Aber sie sind nicht „da“, in der Struktur der Dinge „gibt es“ sie nicht wirklich. Es gibt keine Menschenrechte links neben deiner Bauchspeicheldrüse. Anders als deine DNS oder Chromosomenstruktur sind sie deinem physikalischen Wesen nicht eingeschrieben. Eine konsequent naturalistische Metaphysik schaut sich die Welt an, die so existiert, wie sie nun einmal existiert (es ist, wie es ist), und kann keinen Platz für ein absolutes Soll finden, das der Art und Weise, wie die Dinge sind, inhärent innewohnt – so sehr wir uns das auch wünschen.
Dass diese Rede wie der Auftakt zur Enthüllung des Masterplans eines Bösewichts in einem Trickfilm klingt – um große Teile des Planeten auszulöschen oder den Klimawandel (oder irgendetwas anderes) zu verhindern – scheint Harari nicht zu stören. Die Dinge sind nun einmal so, wie sie sind. Das müssen wir akzeptieren, wenn wir vernünftig mit der Welt umgehen wollen.
Kein „es gibt“ in Sicht, aber die Geschichte ist trotzdem wahr
In gewisser Weise ist Hararis Standpunkt dem des Historikers Tom Holland nicht unähnlich. In seinem bahnbrechenden Buch Herrschaft: Die Entstehung des Westens argumentiert Holland, dass das Konzept der Menschenrechte zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort entstand (Italien im 12. Jahrhundert), von bestimmten Personen (Kirchenrechtlern) und Lehren (z.B. der Gottebenbildlichkeit) beeinflusst wurde und auf der Grundlage einer bestimmten Geschichte formuliert wurde (der christlichen Erzählung von Schöpfung und Erlösung).
Somit handelt es sich bei Menschenrechten gewissermaßen um die säkularisierte Form eines zutiefst christlichen Konzepts. Wie Holland selbst bekräftigte, haben sie
„nicht mehr objektive Realität als – sagen wir – die Dreieinigkeit. Beide Konzepte entstammen dem Wirken der christlichen Theologie. Beide fordern den Menschen, wenn sie geglaubt werden sollen, einen Glaubenssprung ab.“
(Holland scheint diesen „Sprung“ inzwischen gemacht zu haben, da er sowohl Menschenrechte als auch ihren Ursprung als wahr akzeptiert.)
In einigen Aspekten scheinen Holland und Harari übereinzustimmen: Da ist kein objektives „es gibt“, wenn es um Menschenrechte geht; man muss einfach daran glauben. Holland ist bereit, das zu tun, Harari hingegen nicht. Holland glaubt, dass es im Hinblick auf Menschenrechte das „es gibt“ wirklich gibt, obwohl er Hararis erkenntnistheoretische Prämisse des Empirismus teilt – wirklich „objektiv“ ist nur das, was man schmecken, sehen und riechen (und so weiter) kann.
Da ist ein „es gibt“, unabhängig von der Geschichte
In dieser Debatte um Menschenrechte ist ein weiterer Beitrag erwähnenswert. Der Psychologe Jordan Peterson hinterfragt (Holland teileweise widersprechend) die von Holland und Harari geteilte Prämisse, dass es den Menschenrechten an „Objektivität“ fehle, weil es da kein „es gibt“ gebe.
„Es wird sich bald zeigen, dass die Lehre von den Rechten eine unausweichliche Folge des semantischen Netzwerks von Bedeutung ist: Ihre Kodierung ist nicht nur implizit in der Beziehung zwischen Wörtern und verbalen Konzepten enthalten, sondern findet ihren Ausdruck auch in Geschichten und Verhaltensmustern. Sie ist eingebaut in die Struktur des Seins des Menschen, vielleicht sogar des Seins selbst. Mit anderen Worten: „Rechte“ sind die semantische Repräsentation der archetypischen Realität, die tragfähige, aufwärtsgerichtete und wechselseitig altruistische menschliche Interaktionen kennzeichnet.
Überhaupt nicht willkürlich. Ganz im Gegenteil.“
Die Sprache ist zugegebenermaßen ziemlich kompliziert und verschlungen. Aber Peterson sucht nach einer Bestätigung dafür, dass unser Gefühl für die einzigartige Würde und den Wert des Menschen in der Natur der Dinge, des Menschen oder des Seins selbst verwurzelt ist. Dieses Gefühl ist nicht willkürlich, keine soziale Konstruktion, kein sozioideologisches Hirngespinst, das dem westlichen Gewissen lediglich aufgedrängt wurde und keine Wurzeln in der Welt hat.
Angesichts der Undurchsichtigkeit seiner Metaphysik und Theologie (Petersons sich entwickelnde Ansichten scheinen ein nicht-theistischer, quasi-religiöser Mischmasch jungianischer Psychologie zu sein, der versucht, bestimmte Erkenntnisse aus dem sich entwickelnden Feld der Evolutionspsychologie zu vertiefen) fehlt ihm natürlich eine Erklärung dafür, was dieser Wert ist oder in welcher Form er existiert. Es gibt ein Gefühl von Verheißung, eine vorweggenommene Erwartung – sozusagen ein Glaube –, dass diese Wahrheit tatsächlich in irgendeiner Weise nachprüfbar oder quantifizierbar sein wird. Doch zum jetzigen Zeitpunkt scheint es sich um eine Überzeugung ohne rationale Begründung oder Erklärung zu handeln.
Naturrecht, natürliche Rechte und das menschliche Gewissen
Was sollen wir von dieser Auseinandersetzung zwischen Harari, Holland und Peterson halten? Und inwiefern können die Lehren des Christentums sowie die christliche „Geschichte“ in dieser wirren Lage Abhilfe schaffen? Ein richtiges Verständnis der Grundzüge christlicher Anthropologie kann uns zeigen, inwiefern die verschiedenen Antworten sowohl richtig als auch falsch liegen. Sie kann uns auch in unseren Auseinandersetzungen mit unseren Nachbarn und Freuden behilflich sein.
Das in unsere Herzen geschriebene Gesetz
In Römer 1–2 sagt uns Paulus, dass alle Menschen mit einem natürlichen Wissen von Gott und einem Sinn für Recht und Unrecht geschaffen wurden (vgl. Röm 1,18–23). Wir sprechen in diesem Zusammenhang von „natürlicher Theologie“ und dem „Naturrecht“. Wenn unser moralisches und kognitives Vermögen richtig funktioniert, verstehen wir, dass es einen Schöpfer gibt, der alles übersteigt und aller Anbetung und Ehre würdig ist. Wir verstehen auch, dass er Forderungen stellt, die unserer Art von Geschöpflichkeit entsprechen. Eine dieser Forderungen ist, andere Geschöpfe mit Würde und Respekt zu behandeln – sie nicht zu missbrauchen, keinen unnatürlichen Sex mit ihnen zu haben, sie nicht zu ermorden, sie nicht zu verleumden und so weiter (vgl. V. 24–32).
Außerdem müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass es hier nicht nur um Juden oder Christen geht, sondern auch um Heiden: Nichtjuden, die Gott nicht kennen und keine besondere oder übernatürliche Offenbarung von Gott empfangen haben. Wenn Paulus über die Heiden spricht, sagt er, dass sie auch ohne das Gesetz sich selbst ein Gesetz sind und „doch von Natur aus tun, was das Gesetz verlangt“ (Röm 2,14), denn „das Werk des Gesetzes [ist] in ihre Herzen geschrieben“ (V. 15). Es gibt einen universellen menschlichen Sinn für Recht und Unrecht – eine Vorstellung von Gesetz, die unserem Wesen eingeschrieben ist und alle Zeiten, Kulturen und Orte überdauert. C. S. Lewis nannte diese Vorstellung das „Tao“, von dem jeder weiß, dass er es auf irgendeine Weise befolgen sollte.
Auch wenn jemand vielleicht nicht in der Lage ist, die Lehre von der Gottebenbildlichkeit, wie sie in 1. Mose 1 beschrieben wird, klar zu formulieren, sollte er doch, so die Bibel, einen (moralischen und rationalen) Sinn dafür haben, wie er seinen Mitmenschen nicht behandeln sollte.
Gefallene Vernunft und Ideologie
Wie erklären sich die moralischen Divergenzen innerhalb und zwischen Gesellschaften? Wie kann eine Gesellschaft etwas für absolut gerecht und heroisch halten, während eine andere es als inhärent falsch und ungerecht ablehnt?
So etwas wie eine amoralische Gesellschaft gibt es nicht. Jede Gesellschaft hat umfassende Normen, die sie lehrt und verinnerlicht und nach denen sie sich selbst ordnet und organisiert (das ist ein Hinweis auf diesen angeborenen, universellen Sinn für Richtig und Falsch). Dennoch besteht die Bibel darauf, dass die natürliche Erkenntnis der Menschheit durch die Sünde verzerrt wurde. Unsere Fähigkeit, die Grundzüge der Schöpfungsordnung zu erkennen, ist aufgrund unserer entfremdeten Beziehung zu Gott gestört. Unsere moralischen Kompasse zeigen nicht mehr genau nach Norden. Und so neigen wir dazu, das Wissen von Gott und seinem Gesetz zu unterdrücken und zu verdrehen.
Wir tun das auf alle möglichen Arten. Wir erfinden falsche Götter, vergöttern Aspekte der Schöpfung und formen das Moralgesetz nach unseren eigenen Vorstellungen um. Um Hararis Redewendung aufzugreifen: Der Naturalismus ist eine nette Geschichte, die wir uns selbst erzählen, um mit der Angst fertig zu werden, dass wir für die Art und Weise, wie wir unsere Nächsten behandeln, vor einem göttlichen Gericht eines Tages tatsächlich zur Verantwortung gezogen werden könnten. Ideologie ist in diesem Sinne eines der raffiniertesten Instrumente im menschlichen Arsenal der Wahrheitsunterdrückung.
Kohärenz, Materialismus und die Suche nach der Wahrheit
Das ist es, was wir in Hararis technobiologischem Naturalismus finden, der in seinem Kern eine rationalisierte und wahrheitsunterdrückende Ideologie ist. Zumindest kann man ihm nicht vorwerfen, inkohärent zu sein. Tatsächlich sind sich die Soziobiologen, Evolutionspsychologen und naturalistischen Philosophen, die sich mit diesem Problem befassen, einig (wie James Davison Hunter und Paul Nedelisky in ihrem Buch Science and the Good deutlich machen), dass es keine Möglichkeit gibt, eine normative Darstellung der Moral zu entwickeln. Das Problem ist, dass es sich um eine durchweg falsche Lesart der Realität handelt, die unsere natürliche Tendenz, Gott und den wahren Wert unseres Nächsten zu leugnen, noch verstärkt.
Peterson hingegen ringt schon seit einiger Zeit öffentlich mit der Frage nach Gott und der Wahrheit der Evangelien. Er versucht zu Recht, die Wahrheit des Naturrechts und natürlicher Rechte zu bekräftigen – aber ohne einen Gott, der Rechte gebietet und gibt; ohne einen Gott, der „die archetypische Realität“ geschaffen und ihr damit Würde und Respekt verliehen hat. Er ist inkohärent, sucht aber nach der Wahrheit.
Ein Glaubenssprung?
Wie steht es mit Hollands Ansatz? Auch wenn die Lehre von den Menschenrechten historisch gesehen unter dem Einfluss des Christentums entstanden ist, ist Hollands Auffassung zu fideistisch und historistisch, weil er die in der Natur gegebene Offenbarung nicht anerkennt. Holland betrachtet die Tatsache, dass der Diskurs über „Rechte“ in besonderer Weise unter dem Einfluss der Geschichte des Evangeliums entstanden ist, als Beleg dafür, dass „Rechte“ nicht als „objektive“ Realität in der Natur enthalten sein können.
Hinsichtlich der Vorstellung, dass es in ethischen Fragen vor allem um die Entscheidung geht, der richtigen Geschichte zu glauben, schreibt der Theologie Oliver O’Donovan:
„Dass Geschichte ernst genommen werden sollte, können wir nicht bestreiten. Eine christliche Antwort auf den Historismus behauptet sogar das genaue Gegenteil: Wenn die Geschichte zur kategorischen Matrix für jeglichen Sinn und alle Werte gemacht wird, kann sie nicht mehr als Geschichte ernst genommen werden. Eine Geschichte muss eine Geschichte über etwas sein; wenn aber alles nur Geschichte ist, gibt es nichts mehr, über das die Geschichte eine Geschichte sein könnte.“
O'Donovans Punkt ist, dass das Evangelium zwar eine Geschichte ist, aber eben eine Geschichte über eine Realität, die außerhalb der Erzählung wirklich existiert. Das Evangelium erzählt eine Geschichte über das, was ist und existiert, über die Welt, die Gott auf eine bestimmte Art und Weise und in einer bestimmten Form geschaffen hat und die wir erkennen können. Aus diesem Grund sollten das Naturrecht und die natürlichen Rechte nicht als etwas angesehen werden, das die Realität der Natur überlagert oder ihr aufgezwungen wird, sondern als etwas ihr Innewohnendes.
Dem Evangelium zu glauben, bedeutet, eine Botschaft zu empfangen, die aufklärt, reinigt und einige der zentralen Punkte bestätigt, die unsere gefallene Vernunft – trotz ihrer selbst – zu erkennen versucht hat. Übernatürliche Offenbarung korrigiert unsere gefallene und sündige Wahrnehmung der natürlichen Offenbarung und vervollständigt sie, indem sie ihr eine Wahrheit verleiht, die gleichzeitig über sie hinausreicht.
Peterson hat Recht, wenn er auf eine moralische Bedeutung in der Natur verweist, die wir entdecken – nicht erfinden. Holland hat ebenfalls Recht, wenn er behauptet, dass diese Bedeutung eine Rechtfertigung und eine bestätigende Offenbarung jenseits der Natur braucht. Nur wenn die Geschichte, dass Gott die Welt auf diese Weise erschaffen hat, wahr ist, kann sie die moralische Bedeutung haben, auf die wir in unserer Bejahung der Menschenwürde so verzweifelt hoffen. Letztlich kann nur ein Wort von Gott – die Geschichte Gottes – uns dabei helfen, zu glauben, zu verstehen und darin bestätigt zu werden, was wir intuitiv schon lange wissen.
Zuversicht in die Geschichte der Realität
Was bedeutet das nun für uns?
Zunächst tun wir gut daran, zu erkennen, inwiefern Harari Recht hat, wenn es keinen Gott und kein Evangelium gibt: Wir sind nichts anderes als Fleischklumpen und haben keine rationale Grundlage, um an der Würde des Menschen festzuhalten. Dieser Punkt ist so alt wie Dostojewski und Nietzsche, aber deshalb nicht weniger relevant. Wir müssen das immer wieder betonen – und zwar aus dem einfachen Grund, dass Harari an dieser Stelle falsch liegt (und die meisten unter uns wissen das auch).
Kaum jemand ist dazu bereit, die Wahrheit über die Würde der menschlichen Natur öffentlich in dem Maße zu leugnen, wie Harari das tut. Selbst extrem säkulare Menschen stimmen Peterson intuitiv zu. Sie wollen Menschenwürde und Menschenrechte bejahen (und sei es nur, um sich ihrer eigenen Würde und ihres Rechts zu vergewissern). Das Christentum bietet dafür eine gute Grundlage, die weit über das hinausgeht, was man aus eigener metaphysischer und rationaler Kraft hervorbringe könnte.
In der Wahrheit der Bibel verwurzelte Christen können bekräftigen, dass alle Menschen jeden Stammes, jeder Sprache und jeder Nation einen unvergleichlichen Wert und eine unvergleichliche Würde haben, die darin begründet sind, dass sie nach Gottes Ebenbild geschaffen sind. Und nicht nur das, sie haben auch die Würde, die mit dem Evangelium einhergeht. Die Menschen sind so wertvoll, dass Gott selbst in der Person Jesu einer von ihnen wurde, um zu sterben, für alle ihre Verbrechen, Sünden und Ungerechtigkeiten gegenüber ihren Mitmenschen (die ebenso im Ebenbild Gottes geschaffen sind) zu bezahlen und ihnen die ihnen zugedachte Herrlichkeit zurückzugeben.
Zweitens wohnt diesem Ergebnis eine gewisse Widersprüchlichkeit inne. In der heutigen Zeit wird die christliche Lehre und Wahrheit nicht so sehr auf der Ebene der von ihr behaupteten Wunder, sondern auf der Ebene der Moral angegriffen. Nicht gegen das Übernatürliche kämpft unsere Kultur, sondern gegen unser Verständnis der natürlichen Ordnung, das insbesondere in unseren Überzeugungen über die Ehe und die Natur von Mann und Frau zum Ausdruck kommt. Hier scheinen wir in der Defensive zu sein: Wir bemühen uns, unsere Ansichten als liebevoll und gerecht zu verteidigen.
Damit liegen wir jedoch falsch. Die moralische Ordnung ist genau der Ort, an dem Christen darauf vorbereitet sein müssen, ihren apologetischen Vorteil für die Wahrheit des Glaubens zu nutzen. Die säkularen Ideologien entpuppen sich als unfähig, gewalttätigen Ideologien, die die Menschenwürde erniedrigen und in die Menschenrechte eingreifen, etwas entgegenzuhalten. Das Christentum steht in starkem Kontrast dazu und kann mit voller Überzeugung das bejahen, was andere Ideologien nur als schwache Hoffnung andeuten können.
Wenn das Christentum wahr ist, können wir es nicht als bloße Bestätigung dessen betrachten, was wir schon immer geglaubt haben. Wir müssen bereit sein, es als ein ganzheitliches Korrektiv zu akzeptieren, das die vielen Arten und Weisen, wie wir Wahrheit des Gewissens unterdrückt haben, herausfordert. Wir müssen bereit sein, nicht nur ein bestätigendes, sondern auch ein verurteilendes Wort zu hören, das richtend über uns steht.
Wir sollten angesichts unserer Gewaltverbrechen, Sünden und Grausamkeiten gegen unsere Nächsten – Völkermorde, Vergewaltigungen, Rassismus und Engstirnigkeit – davon ausgehen, dass unser Verstand die Wahrheit Gottes auch in anderen Bereichen unterdrückt hat. Sollten wir nicht mit ein paar Erschütterungen rechnen, wenn Jesus plötzlich anfängt, uns etwas über unser Sexualleben, unsere Sexualität oder unsere geschlechtliche Identität zu belehren? Ganz sicher sollten wir das.
Drittens können wir nicht über diese Dinge sprechen, ohne selbst von ihnen angesprochen zu werden. Wir sprechen als geschaffene und gefallene Ebenbilder Gottes zu anderen geschaffenen und gefallenen Ebenbildern Gottes. Das bedeutet, dass wir sowohl demütig als auch zuversichtlich sprechen. Wir sprechen als diejenigen, die selbst regelmäßig durch das Wort korrigiert werden müssen, weil wir die Wahrheit in Ungerechtigkeit unterdrücken.
Diese Demut ist weder eine Entschuldigung für Nachlässigkeit noch für Hoffnungslosigkeit. Wir haben nicht nur die Wahrheit des Evangeliums und die Kraft des Geistes Gottes, sondern Gott hat ein Zeugnis in den Herzen derer hinterlassen, die wir zu erreichen versuchen – das Gesetz selbst steht dort in ihren Herzen geschrieben und bezeugt sich in ihrem Gewissen, das sich nach dem befreienden Urteil des Evangeliums von Jesus Christus sehnt (vgl. Röm 2,16).