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Lange Zeit glaubte ich, dass echte Veränderung im Leben folgendermaßen geschieht:
- Ich bete ernsthaft und versuche, intensive Gefühle zu empfinden.
- Sobald sich diese starken Gefühle einstellen, wird es sich natürlich und leicht anfühlen, das Richtige zu tun.
Doch in Gesprächen mit Gleichgesinnten über die Lektionen unseres christlichen Lebens zeigte sich immer wieder, dass wirkliche Veränderung oft anders abläuft. Auch in der Bibel finden wir diesen Prozess so nicht. Tatsächlich ist er gar nicht realistisch. Die Heilige Schrift hat zwar viel über unsere Gefühle zu sagen:
- „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“ (2Kor 9,7).
- „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“ (Mt 22,37).
- „Freuet euch in dem Herrn allewege“ (Phil 4,4).
Diese Gebote beziehen sich direkt auf unsere Gefühle. Christus schafft nicht nur ein neues Verhalten in uns, sondern auch eine radikale Erneuerung unserer Empfindungen.
Doch in den letzten Jahren habe ich ein wichtiges Thema in der Bibel entdeckt, das ich lange übersehen hatte: die Macht der Gewohnheiten.
Die Bedeutung von Gewohnheiten
Gewohnheiten sind das Rückgrat von Israels Festkalender im Alten Testament. Gott gebietet seinem Volk, regelmäßig Opfer darzubringen, sich zu versammeln, um sein Wort zu hören und Gottesdienst zu feiern. Besonders aufschlussreich ist, dass Gott bestimmte Feste festlegt, um sein Volk an seine Güte und sein Erlösungswerk zu erinnern. Diese Gebote waren nicht an spontane Gefühle gebunden. Israel sollte nicht nur dann opfern, wenn es sich schuldig fühlte, Gaben bringen, wenn es Dankbarkeit verspürte, oder Feste feiern, wenn es sich gesegnet wusste. Stattdessen gab Gott seinem Volk feste Rhythmen, die ihr Denken prägen und sie heiligen sollten.
Regelmäßige Rhythmen
In unserem geistlichen Leben erkennen wir oft intuitiv die Bedeutung von Rhythmen. Deshalb sind Gewohnheiten wie das Lesen der Heiligen Schrift, das Gebet und die treue Mitgliedschaft in einer Ortsgemeinde unerlässlich für unser geistliches Wachstum. Doch die Bedeutung von Gewohnheiten geht weit über diese geistlichen To-Do-Listen hinaus. Gewohnheiten schaffen Raum, damit unser Herz gedeihen kann, formen unsere Identität und trainieren unsere Wünsche, sodass unsere wechselhaften Gefühle nicht unseren Charakter bestimmen.
James Clear beschreibt in seinem Bestseller Die 1%-Methode den Zusammenhang zwischen Gewohnheiten und Identität:
„Jede Gewohnheit ist wie ein Vorschlag: „Hey, vielleicht bin ich so ein Mensch.“ Wenn Sie ein Buch lesen, sind Sie vielleicht jemand, der gerne liest. Wenn Sie ins Fitnessstudio gehen, sind Sie vielleicht jemand, der Sport mag. … Mit allem, was Sie tun, geben Sie eine Stimme für die Art Mensch ab, der Sie werden möchten. Eine einzige Handlung wird Ihre Überzeugungen nicht verändern, doch wenn sich die Stimmen mehren, sammeln sich immer mehr Beweise für Ihre neue Identität.“[1]
Das entspricht dem neutestamentlichen Prinzip „Werde, wer du bist!“[2] Rechtfertigung bedeutet, dass Christus für unsere Sünden bezahlt hat und wir in ihm gerecht gesprochen wurden. Heiligung hingegen ist der Prozess, durch den wir immer mehr in sein Bild verwandelt werden. Wie wirken diese beiden Realitäten zusammen? Eine entscheidende Antwort der Bibel ist, dass wir durch den Heiligen Geist Gewohnheiten entwickeln, die unseren Charakter in Übereinstimmung mit unserer neuen Identität bringen. Paulus schreibt: „Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott“ (Kol 3,1–4).
Das Gebot, zu suchen, was droben ist, ermutigt uns dazu, Gewohnheiten zu kultivieren, die unserer Identität in Christus entsprechen. Es geht nicht nur darum, dass wir unsere Identität wichtig genug nehmen, um das Richtige zu tun. Vielmehr sollen wir das Richtige tun, weil unser wahres Leben in Christus verborgen ist.
Gewohnheiten im digitalen Zeitalter
Gehen wir davon aus, dass wir die Bedeutung von Gewohnheiten anerkennen. Welche sollten wir pflegen, um in der digitalen Welt christliche Weisheit zu bewahren?
Wann hast du zuletzt mehr als eine Stunde lang ein Buch gelesen, Musik gehört oder ein Gespräch geführt, ohne auf dein Handy zu schauen? Wann warst du das letzte Mal allein mit deinen Gedanken – ohne E-Mails, soziale Medien oder Streaming?
Viele von uns glauben, sich nicht mehr konzentrieren zu können, doch oft liegt es einfach daran, dass wir es schon lange nicht mehr versucht haben. Unser Alltag ist voller Ablenkungen, und in Momenten der Stille greifen wir instinktiv zu unseren Geräten. Doch wir könnten bewusst dagegen steuern, indem wir uns eine Stunde täglich aus der digitalen Welt zurückziehen.
Wer in einem Beruf arbeitet, der ständige Erreichbarkeit erfordert, kann sich eine technikfreie Mittagspause gönnen. Statt ziellos durch die sozialen Medien zu scrollen, könnten wir ein Buch lesen oder ein persönliches Gespräch führen.
Falls Online-Nachrichten deine Aufmerksamkeit binden, könntest du auf gedruckte Zeitungen oder Zeitschriften umsteigen, um intensiver zu lesen.
Ist YouTube dein Hauptablenker? Dann könntest du den Zugriff tagsüber begrenzen und dir stattdessen bewusst Zeit nehmen, um einen ganzen Film zu genießen.
Je mehr unsere Aufmerksamkeit auf unzählige kleine Dinge verteilt ist, desto erschöpfter und verwirrter werden wir. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept dagegen, und es geht nicht darum, alle digitalen Angebote aufzugeben. Vielmehr müssen wir verstehen, wie diese Technologien uns beeinflussen, und entsprechend handeln. Die größte Herausforderung besteht darin, unsere Gewohnheiten bewusst zu formen. Wenn gerade nichts unsere Aufmerksamkeit beansprucht, wohin lenken wir sie dann? Die Antwort darauf können wir selbst beeinflussen – und das ist ein entscheidender Schritt, um der digitalen Liturgie standzuhalten.
1 James Clear, Die 1%-Methode – Minimale Veränderung, maximale Wirkung: Mit kleinen Gewohnheiten jedes Ziel erreichen, München: Goldmann 2020, S. 43.
2 Diesen Ausdruck habe ich zum ersten Mal bei John Piper gehört.