
Wofür es sich zu kämpfen lohnt – und wofür nicht
„Wäre es dir lieber, eine Frau hält im Gottesdienst eine Predigt, die ein Mann geschrieben hat, oder ein Mann hält eine Predigt, die eine Frau geschrieben hat?“ „Gab es früher wirklich Riesen?“ „Kann ich Mitglied in zwei Gemeinden sein?“ „Ist das Ende von Markus echt?“ „Wie stehst du zum Millennium?“ „Muss ich als Christ an die Dreieinigkeit glauben?“ – Das sind nur ein paar Beispiele für die verschiedenen theologischen Fragen, die mir in den letzten Jahren gestellt wurden.
Solche Fragen und die resultierenden Diskussionen können schnell hitzig werden. Manchmal werden dabei unnötigerweise unwichtige Themen ins Zentrum gerückt. In anderen Fällen geht es um zentrale Glaubensinhalte. Die meisten Christen haben Erfahrungen mit theologischen Streitereien und mit den tiefen Wunden, die sie verursachen können. Doch welche Lehren sind es eigentlich wert, verteidigt zu werden? Für welche sollte man bereit sein, sein Leben zu geben? Und wo sollte man lieber Zurückhaltung üben oder vielleicht gar nicht erst kämpfen? Darum geht es in Gavin Ortlunds Buch Wofür es sich zu kämpfen lohnt – und wofür nicht: Ein Plädoyer für theologische Triage.
Was dich erwartet
Ortlund gliedert sein Buch in zwei Hauptteile: Zunächst legt er dar, warum eine „theologische Triage“ überhaupt notwendig ist. Die „theologische Triage“ ist ein Begriff, der ursprünglich von Albert Mohler geprägt wurde. Bei der Triage geht es eigentlich um die Priorisierung medizinischer Hilfeleistung. Da in einer Notaufnahme zum Beispiel nicht allen Leidenden sofort geholfen werden kann, muss abgewogen werden, wer zuerst die meiste Hilfe benötigt. Für eine erfolgreiche Triage benötigt man solide Kriterien, anhand derer man die einzelnen Fälle bewertet. Dieses Prinzip überträgt Ortlund in seinem Buch auf theologische Fragen. Es bedarf also in gleicher Weise solider Kriterien zur Sortierung theologischer Fragen anhand ihrer Dringlichkeit und Notwendigkeit. Er warnt dabei vor den beiden Extremen der theologischen Diskussion: Separatismus und Minimalismus. Also entweder spaltet man sich bei jeder Meinungsverschiedenheit von anderen ab oder man ignoriert einfach alle Unterschiede und begrenzt sich auf den gemeinsamen Glauben an Jesus. Nach dieser Einführung gibt Ortlund uns einen ehrlichen Einblick in seine eigene Biographie. Er berichtet nicht nur davon, wie sich seine Meinungen zur Tauffrage, dem Alter der Erde und dem Millennium über die Jahre verändert haben, sondern auch, was er in diesem Veränderungsprozess erlebt und gelernt hat.
Danach beschreibt er im zweiten Teil, wie sich eine gesunde Einordnung theologischer Fragen praktisch umsetzen lässt. Dabei erklärt er seine Kriterien. Er teilt theologische Fragen in vier Kategorien, die nach Dringlichkeit sortiert sind.
Die erste Kategorie umfasst Lehren, die für das Evangelium wesentlich sind. Wer eine solche Lehre bewusst ablehnt, lehnt letztlich das Evangelium selbst ab. Gleichzeitig wehrt sich Ortlund dagegen, diese erste Kategorie einfach als „heilsnotwendig“ zu bezeichnen. So muss ein Mensch nicht zwangsläufig jede erstrangige Lehre kennen, um gerettet zu werden. Als Beispiele für erstrangige Lehren nennt er die Jungfrauengeburt und die Rechtfertigung allein aus Glauben.
Die zweite Kategorie enthält Lehren, die für die Praxis der Ortsgemeinde entscheidend sind und oft zur Bildung unterschiedlicher Denominationen führen. Hierbei geht es um Glaubensinhalte, zu denen wir als Christen unterschiedlicher Meinung sein können. Ihre Auswirkungen auf das Gemeindeleben sind aber so weitreichend, dass es schwierig wird, mit diesen unterschiedlichen Ansichten gemeinsam in einer Gemeinde zu dienen. Hier nennt Ortlund als konkrete Beispiele die Fragen nach Kinder- oder Erwachsenentaufe, nach der Rolle von Frauen in der Gemeinde und nach den Geistesgaben wie Prophetie und Zungenrede.
Die dritte Kategorie beinhaltet Lehren, die zwar interessant und wichtig sind, aber nicht zu Trennungen unter Christen führen sollten. Diese Glaubensinhalte erkennt man daran, dass sie für das praktische Leben der Ortsgemeinde und des einzelnen Christen wenig Bedeutung haben. Gerade an dieser Stelle werden Dinge oft wichtiger genommen, als sie eigentlich sein sollten. Hier nennt Ortlund das Alter der Erde oder die Auslegung des Millenniums als konkrete Beispiele.
Die vierte Kategorie umfasst Lehren, die für das Evangelium, die Weltmission und die Zusammenarbeit von Christen keine Bedeutung haben. Hierfür gibt Ortlund keine konkreten Beispiele.
Nachdem er uns durch diese vier Kategorien geführt hat, schreibt Ortlund noch ein Fazit: „Ein Aufruf zu theologischer Demut“. Hier überführt er den einen oder anderen Leser noch einmal auf eine liebevolle Art und Weise. Er macht deutlich, dass die meisten theologischen Streitgespräche nicht wegen der zugrundeliegenden Fragen so viel Schaden anrichten, sondern wegen eines Mangels an Demut. Er erinnert uns daran, dass wir oft in unserem Eifer für bestimmte Lehren eine zentrale Lehre Jesu außer Acht lassen: die Einheit des Leibes Christi.
Du solltest es lesen!
Das Buch Wofür es sich zu kämpfen lohnt – und wofür nicht ist verständlich geschrieben, gut strukturiert und bleibt nah an der Praxis. Die Übersetzung ist insgesamt wirklich gut gelungen. Die Länge des Buches ist für das, was es sein will, genau richtig. Es fühlt sich nicht langatmig an und bleibt durch die konkreten Fallbeispiele abwechslungsreich.
Gerade hier liegt auch eine der beiden Stärken des Buches. Dadurch, dass Ortlund seine Kategorien mit konkreten theologischen Fragen veranschaulicht, bleibt die ganze Sache nicht abstrakt, sondern wird greifbar und anwendbar. Auch die Einblicke, die er in seine persönliche Entwicklung gewährt, helfen dabei enorm. Ich habe mich beim Lesen selbst ertappt gefühlt, als ich darüber nachgedacht habe, welche unnötigen Kämpfe ich in der Vergangenheit schon geführt habe, weil ich manche Dinge wichtiger gemacht habe, als sie tatsächlich sind.
Die zweite Stärke des Buches liegt in seiner Einfachheit. Wer die vier Kategorien, die Ortlund präsentiert, versteht, hat das ganze Buch verstanden. Das ist auch das Ziel, das er verfolgt. Der Gewinn, den man am Ende hat, ist eine verbesserte oder gar neue Sprachfähigkeit, wenn es um theologische Fragen geht. Diese Sprachfähigkeit ist differenzierter als die bloße Einteilung von Lehren in „heilsnotwendig“ und „nicht-heilsnotwendig“ und beugt damit den beiden Extremen von Separatismus und Minimalismus vor.
Für wen ist dieses Buch geeignet?
Ich glaube, das Buch ist für alle Christen hilfreich, da wir alle in verschiedenen theologischen Fragen eine eigene Meinung bilden müssen. Es kann uns davor bewahren, einen Kategorisierungsfehler zu machen, indem wir lernen, einzelnen Fragen die korrekte Bedeutung zuzumessen. Besonders wertvoll ist das Buch aber auch für Pastoren und Älteste, weil es hilft, Streitfragen in der Gemeinde besser einzuordnen und die Gespräche darüber weise zu führen. Ich würde es aber auch einem Theologiestudenten am Anfang seines Studiums empfehlen.
Fazit
Ortlunds Buch bietet ein hilfreiches Raster, um theologische Fragen einzuordnen. Es ist kein Buch, das revolutionär neue Ideen bringt, aber es stellt eine wichtige und gut durchdachte Methode vor, um Einheit und Klarheit in theologischen Diskussionen zu finden. Wer nach einem Werkzeug sucht, um in theologischen Meinungsverschiedenheiten liebevoll, klar und weise zu agieren, findet hier eine wertvolle Hilfe.
Buch
Gavin Ortlund, Wofür es sich zu kämpfen lohnt – und wofür nicht: Ein Plädoyer für theologische Triage, Bad Oeynhausen: Verbum Medien, 2025, 212 Seiten, 18,90 EUR.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.