
Von Arche, Babel und KI
Wenn wir über „Technologie“ sprechen, tendieren wir dazu, von den allgegenwärtigen digitalen Medien auszugehen – Smartphones, soziale Medien, Streaming-Angebote und dergleichen. Tony Reinke hat bereits Bücher über Smartphonekonsum (Wie dein Smartphone dich verändert) verfasst. In seinem Buch Von Arche, Babel und KI erweitert er nun unseren Blick auf Technologie. Landwirtschaft, Metallverarbeitung, Städtebau, Flugzeuge, Staubsaugerroboter, die Aluminium-Windmühle seines Großvaters, Antibiotika, Impfungen und vieles mehr sind Teil des technologischen Fortschritts, den Reinke in seinem Buch beschreibt und theologisch einordnet. Reinke zufolge gibt es eine theologische Lücke darin, wie Christen grundsätzlich über menschliche Innovationen und daraus resultierende technologische Revolutionen nachdenken. Sein Buch versucht diese Lücke zu füllen, indem er auf 330 Seiten eine theologische Fundierung eines christlichen Technikverständnisses erarbeitet.
Einer der Grundpfeiler, den Reinke auf seinem Weg hin zu einer Techniktheologie etabliert, ist das Zusammenspiel von menschlichem Schaffen und Gottes Souveränität. Ein Beispiel ist für ihn der Teer, der sowohl für den Bau der mächtigen Arche als auch für den Turmbau zu Babel genutzt wird: während der erste Bau von Gott befohlen wurde, ist der zweite ein Beispiel menschlichen Hochmuts, welchen Gott laut Reinke dazu benutzt, Zerstreuung und kulturelle Spannungen zu erzeugen, um universelle technologische Innovationen einzudämmen. Eine weitere Schlüsselstelle ist für Reinke Jesaja 54,16–17, die er so auslegt, dass sie Gottes Wirken sowohl beim Erschaffen neuer Technologie („der Schmied“) als auch beim Begrenzen dieser („der Zerstörer“) darstellt. Daraus schlussfolgert Reinke in neun Unterpunkten, dass Gott seine Hand über technologische Entwicklungen hält – sowohl über das Silicon Valley als Ganzes als auch über einzelne Innovatoren.
Ursprünge und Auswirkungen menschlicher Innovation
Doch wie kommt es überhaupt zu technischen Innovationen? Dazu benutzt Reinke das Bild einer LEGO-Kiste. Gott stellt der Menschheit eine LEGO-Kiste mit tausenden Steinchen bereit, aus denen die Menschen in zahlreichen Kombinationen Dinge erdenken, zusammensetzen und verbinden können. Anders als Gott, der aus dem Nichts schuf (creatio ex nihilo) arbeitet der Mensch also nur mit bereits vorhandenen Materialien und Kenntnissen und entwickelt diese im Rahmen der Möglichkeiten und der gegebenen Naturgesetze (wie der Gravitation) weiter. Auf dieser Basis entwickelt Reinke 13 theologische Lektionen: Innovatoren sind – analog zum LEGO-Beispiel – streng genommen nur Entdecker und keine Erfinder. Bei allem Fortschritt müssen jedoch die Bedingungen des menschlichen Körpers und auch des gesamten Planeten berücksichtigt werden, wie Lektion 12 eindrücklich zeigt:
„Schädliche Medikamente, schädliche Kernkraftwerke, unsichere Staudämme, mangelhafte Sicherheitsbehälter für experimentelle Krankheitserreger – all diese Technologien bergen erhöhte Risiken mit weitaus größeren Folgen. Bei unseren Erfindungen und Entwicklungen müssen wir also aufmerksam auf die Schöpfung hören. Es bleibt schwer, die Schöpfung zu überhören. … Ich höre die Schöpfung, da in Kalifornien über 500 Waldbrände Millionen Hektar Wald niederbrennen. … So geschützt wir uns durch unsere Innovationen auch fühlen mögen, wird es lange dauern, bis wir das laute Seufzen der Schöpfung nicht mehr hören (Röm 8,22). Irgendwas in dieser Welt ist kaputt und lässt sich weder reparieren noch heilt es von selbst. … Die Natur rüttelt uns auf, und wir rütteln und (zer-)stören zurück. … Wir brauchen wissenschaftliche Debatten und unterschiedliche Meinungen im Dialog mit der Schöpfung, damit wir die Vor- und Nachteile … unserer neuen Technologien immer besser erkennen.“ (S. 151–152)
Persönlicher wird es in der letzten Lektion, in der Reinke davor warnt, Gott aufgrund der Annehmlichkeiten und Kontrollmöglichkeiten der Technik aus dem Alltagsleben zu verdrängen:
„Wir erweisen dem Geber unseren Dank, indem wir uns weigern, süchtig nach seinen Gaben zu werden. Stattdessen beten wir um Weisheit, seine Gaben in gottzentrierter Dankbarkeit, Demut und Zurückhaltung als kostbare Dinge zu gebrauchen, mit denen er uns gesegnet hat – wie dem Smartphone … Wir sind nicht dazu berufen, unseren Trost darin zu finden, diese Welt zu beherrschen. Im Leben geht es nicht darum, jede Bequemlichkeit zu erhaschen und jede Variable zu kontrollieren.“ (S. 153)
Die scheinbare Selbstverständlichkeit, mit der wir uns an die Gaben und den Komfort der Technik gewöhnt haben, illustriert Reinke treffend mit dem Gedankenexperiment eines Professors, der seine Studenten vor die Wahl stellte: Würden sie lieber ihr aktuelles mittelmäßiges Leben fortführen oder im Jahr 1916 als Milliardär John Rockefeller leben wollen? Trotz des großen Reichtums ist ein ärmeres gegenwärtiges Leben für viele attraktiver, da 1916 selbst für Superreiche viele Möglichkeiten und Annehmlichkeiten nicht verfügbar waren: Antibiotika, Haushaltsgeräte, Klimaanlagen, Fernseher & Streaming, Mobiltelefonie, internationale Küche und viele andere Dinge gab es nicht.
Die Grenzen der Technik
Eindrücklich ist auch Reinkes Deutung der Raumfahrt, welche das vierte Kapitel über die Grenzen der Technik einleitet. Er sieht in ihr neben allem Staunen über Mondspaziergänge auch eine gewisse menschliche Selbstüberschätzung. Diese äußert sich unter anderem bei Elon Musk, der von einer Zivilisation träumt, die „zwischen den Sternen lebt [und] … nicht auf die Erde beschränkt“ bleibt (S. 164) und der mit seinen SpaceX-Raketen eine Art „Arche“ bauen will, die die Menschheit von der Erde retten soll. Doch diese fast schon transzendentalen Sehnsüchte erweisen sich als trügerisch, denn im Weltall gibt es Reinkes Ausführungen zufolge nichts als Trostlosigkeit, Leere, Isolation und Dunkelheit. Dies kontrastiert der Autor geschickt mit Psalm 20, in dem David trotz der großen (welt-)räumlichen Distanz zu Gott dessen Präsenz und Hilfe erfährt und nicht auf „Wagen und Pferde“ vertraut, sondern auf den „Namen des Herrn“ (Ps 20,7). Reinke fasst die Grenzen der Technik schließlich kompakt zusammen, indem er postuliert, dass „wir uns nicht selbst retten“ können und technische Innovationen „die Herzen unbefriedigt“ zurücklassen (S. 202).
Ein wenig Praxis
Gegen Ende des Buches werden 14 Überzeugungen aufgeführt, die angesichts der entwickelten Techniktheologie der Frage nachgehen: „Wie sollen wir denn leben?“ (S. 255). Wer hier jedoch konkrete Fallbeispiele oder Handlungsvorschläge erwartet, wird enttäuscht. Die meisten Lektionen sind Zusammenfassungen vorheriger Kapitel. Einige hilfreiche grobe Orientierungshinweise gibt Reinke hingegen, wenn er von Liebe, Minimalismus und dem Sabbat spricht:
- Das Doppelgebot der Liebe ist gerade in Zeiten von großer Technikdominanz wichtiger denn je. Christen sollten in ihrer hochtechnisierten Umgebung immer wieder die „Schönheit Gottes“ suchen und gleichzeitig aufopferungsvoll ihre Mitmenschen lieben und ihnen „Präsenz“ (S. 274) schenken.
- Angelehnt an die Amischen, die bei jeder technischen Neuerung anhand diverser Kriterien prüfen, ob diese der Gemeinschaft dienen oder nicht, schlägt Reinke – obwohl er sich sonst als „Tech-Optimist“ (S. 24) präsentiert – vor, einen „technischen Minimalismus“ einzuüben. Christen können den „technischen Reichtum“ freudig nutzen, sollten aber gleichzeitig auf der Grundlage einer „gottzentrierten Zufriedenheit“ (S. 286) abwägen, welche technischen Entwicklung dem persönlichen und geistlichen Leben zuträglich ist und welche nicht.
- Da wir mit unseren begrenzten menschlichen Körpern keine effizienten Maschinen sind, erinnert Reinke an die Wichtigkeit der Sabbatruhe, damit wir uns durch das Innehalten und Entschleunigen gewahr werden, dass wir „für etwas Größeres geschaffen sind als für eine hyperbeschleunigte, ununterbrochene Berechnung und Produktion“ (S. 297).
Erinnerungen wie diese sind wichtig, um unsere Lebensausrichtung und Alltagsgewohnheiten in Bezug auf unseren Umgang mit Technik zu überprüfen. Nach einer so ausführlichen Auseinandersetzung auf über 250 Seiten könnten einige Leser sich am Ende noch weitere konkrete Anwendungsbeispiele oder abschließende praxisorientierte Gedanken wünschen.
Verpasstes Potential
Wie so oft hängt der Nutzen eines Buches von den Leseerwartungen ab. Ich habe mir einige konkrete und differenzierte Abwägungen zum Nutzen bestimmter Technologien gewünscht, z.B. wie wir konkret den oben angeführten „technischen Minimalismus“ leben können. Wie können wir als Christen prüfen, auf welche Weise Technologien wie das Auto, Schmerzmittel, Schönheits-OPs, Online-Shopping, Flugreisen, Haushaltshelfer, Smartwatches, KI, Podcasts oder Videokonferenzen unser Leben bereichern, zum Segen für andere werden oder aber auch zu Komfort- und Kontrollsucht, Apathie oder Isolation führen können? Um nur ein Beispiel aus dieser Liste etwas auszuführen: Ob mein Alltag eher vom Auto oder aber vom Fahrrad geprägt ist, macht einen großen Unterschied dabei, wie wahrscheinlich Zufallsbegegnungen sind, wie sehr ich die Natur, Nachbarschaft und meinen eigenen Körper wahrnehme; aber auch, welche Reichweiten möglich sind, welche Ortsgemeinde infrage kommt und wen ich als Christ besuchen und segnen kann.
Reinke verfolgt jedoch einen anderen Ansatz und bleibt auf einer eher theologischen und grundsätzlichen Ebene. Dabei kommt er zu Schlüssen wie: Gott steht über der Technik; wir dürfen gestalten; Fortschritt macht vieles möglich; Technik allein aber macht nicht glücklich und kann zur Gefahr für Mensch und Erde werden. Das Buch liefert also eine theologische Fundierung für ein christliches Verständnis von Technologie. Dies gelingt Reinke mit teils präziser, teils auch etwas kreativer Bibelauslegung und unter Einbeziehung theologischer und technologischer Experten. Wer an einer theologischen Grundlagenarbeit zur Technik interessiert ist, wird in diesem Buch sicherlich einen Gewinn und Segen finden. Wer jedoch eine Art Handbuch und Reflexionshilfe zum Umgang mit Smartphones und anderen omnipräsenten Technologien erwartet, sei auf Digital Liturgies, Reaktivität überwinden, The Tech-Wise-Family oder Seele, nähre dich gesund! verwiesen. Bücher wie diese konzentrieren sich aber fast ausschließlich auf den digitalen Bereich. Tony Reinkes Buch bietet einen soliden theologischen Ansatz zur Technik, aber in Bezug auf praktische Anwendungen außerhalb der Digitalität hätte ich mir noch mehr Tiefe gewünscht. Der deutsche Untertitel verheißt „eine biblische und praktische Theologie der Technik“. Reinke liefert den ersten Teil – ein solides und fundiertes theologisches Grundlagenwerk –, löst den praktischen Teil dieser Verheißung aber nur bedingt ein.
Buch
Tony Reinke, Von Arche, Babel und KI: Eine biblische und praktische Theologie der Technik, Augustdorf: Betanien Verlag, 2025, 330 Seiten, 19,90 EUR.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.