Homosexualität

Rezension von Ron Kubsch
4. Juli 2016 — 15 Min Lesedauer

In diesem Buch hat die Evangelische Allianz in Großbritannien zu einem emotional und kontrovers besetzten Thema Stellung bezogen. Die Herausgeber sind eng mit der evangelikalen Dachorganisation verbunden. Andrew Goddard war bis 2015 stellvertretender Direktor des Kirby Laing Institute for Christian Ethics in Cambridge, inzwischen ist er wissenschaftlicher Leiter der Einrichtung. Don Horrocks war bis 2015 Öffentlichkeitsreferent der Allianz in Großbritannien. Die beiden haben für die Beiträge, die am Ende eines mehrjährigen Klärungsprozesses von der Britischen Allianz zur Verfügung gestellt worden sind, die Schlussredaktion übernommen. Wenn ich nachfolgend von Autoren spreche, dann meine ich damit all diejenigen, die an dem Gesamtpaket mitgewirkt haben.

Das Buch enthält zehn Leitsätze, die biblische Begründungen für eine christliche Sexualethik mit seelsorgerlichen Anliegen verbinden. Im ersten Leitsatz heißt es etwa: „Wir erkennen an, dass wir alle Sünder sind und dass Jesus Christus die einzige wirkliche Hoffnung für sündige Menschen ist, wie immer unsere eigene Sexualität auch aussehen mag. Es ist unser ernstes Gebet, dass evangelikale Erwiderungen auf die Debatten zur Homosexualität heute wie auch zukünftig von seiner Liebe, Wahrheit und Gnade geprägt sein mögen“ (S. 23). Der siebte Leitsatz lautet: „Wir würdigen und ermutigen alle, die gleichgeschlechtlich empfinden und sich zur Enthaltsamkeit verpflichtet haben, indem sie von gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen Abstand nehmen. Wir sind überzeugt, dass sie für Ordination und Leitungsdienste in der Kirche bzw. Gemeinde geeignet sind. Wir erkennen an, dass sie in den Bereich des christlichen Hirtendienstes wertvolle Einsichten und Erfahrungen einbringen können.“ Entlang dieser Leitsätze ist das Buch in fünf Kapitel strukturiert, die jeweils unterschiedliche Themenfelder erörtern.

Das erste Kapitel behandelt das Sündersein des Menschen sowie für die Debatte wichtige Begriffe und Grundeinsichten. Eingegangen wird dort auch auf Bezeichnungen von sexuellen Minderheiten und die statistische Streuung. Die Zahlen zur Verbreitung von Homosexualität schwanken enorm, je nach Untersuchung liegen sie zwischen 1 bis 8 Prozent. Die Autoren orientieren sich an Erhebungen, die 2010 für das Vereinigte Königreich vom Statistischen Nationalamt vorgenommen wurden. Demnach wird übereinstimmend mit früheren Forschungen geschätzt, dass 1,4 Prozent der Einwohner schwul, lesbisch oder bisexuell sind (S. 34–35). Diese Angaben weichen beachtlich von der öffentlichen Wahrnehmung ab. In den USA wurde beispielsweise 2011 festgestellt, dass 1,8 Prozent der Erwachsenen sich als bisexuell und 1,7 Prozent als lesbisch oder schwul bezeichnen. Demgegenüber ergab eine Gallup-Umfrage aus demselben Jahr, dass die Erwachsenen in den USA davon ausgehen, dass im Durchschnitt 25 Prozent der Amerikaner schwul oder lesbisch sind (vgl. S. 35).

Die Autoren distanzieren sich ohne detaillierte Diskussion von dem binären Modell der menschlichen Sexualität. Die Vorstellung zweier festgelegter und beständiger Kategorien sexuellen Begehrens sei „fehlerhaft, sowohl theologisch als auch bezogen auf wissenschaftliche und psychologische Befunde zur menschlichen Sexualität“ (S. 31). Übernommen wird die Auffassung, dass die menschliche sexuelle Anziehung am besten im Sinne eines Spektrums zu verstehen sei, so wie das schon in den 1940er-Jahren der Zoologe Alfred Kinsey vorgeschlagen hat. Die sogenannte Kinsey-Skala bietet eine Sieben-Punkte-Einteilung an, die von ausschließlich heterosexuell (0) bis zu ausschließlich homosexuell (6) reicht. Zwischen diesen Polen gibt es Vermischungen, wobei der Punkt 3 gleiche Anteile heterosexuellen und homosexuellen Erlebens bezeichnet. Die Verabschiedung des binären Modells, das einen maßgeblichen Anstoß durch die Arbeiten von Kinsey erhielt, hätte kritischer hinterfragt werden müssen, zumal die jüngeren Forschungen zu Kinsey zeigen, wie zweifelhaft die Verfahrensweisen und das Menschenbild Kinseys gewesen sind.1 Es gibt meiner Meinung nach keinen Grund dafür, diese sexualwissenschaftlichen und psychologischen Vorstellungen konformistisch zu übernehmen. Wenn wir es tun, ist der Ertrag im Übrigen überschaubar. Wir lernen beispielsweise, dass in Großbritannien zwischen 2009 und 2010 ungefähr 94 Prozent aller befragten Personen zum Zeitpunkt der Befragung heterosexuell bzw. konventionell empfanden (vgl. S. 34). Wir können aber aus diesem Befund nicht schließen, dass es so sein soll. Schon gar nicht können wir daraus schließen, dass jeder Mensch ein natürliches Kontinuum in sicht trägt, das von der Heterosexualität über die Bisexualität bis hin zur Homosexualität reicht und die Heterosexualität folglich nur eine Option unter vielen ist.

Auf den Seiten 39 bis 40 wird der Eindruck erweckt, als sei eine „christliche Identität“ die Antwort auf eine heute von manchen erlebte „schwule Identität“. Das löst bei mir leichtes Unbehagen aus. Zwar meine ich wie Mark A. Yarhouse und die Britische Allianz, dass nichts tiefer sitzen sollte als unsere Verbundenheit mit Christus, und somit Jesus derjenige ist, der unsere Identität mehr als alles andere bestimmt. Meine christliche Identität ist jedoch kein Ersatz etwa für mein Mann- oder Vatersein oder für meine Empfindungen und Gewohnheiten. Kein Verhalten, auch nicht mein christliches Verhalten, macht meine Identität aus. Es geht hier um unterschiedliche Ebenen, die miteinander in Beziehung stehen, sich aber nicht einfach austauschen lassen. Christen haben ihre Identität in Christus gefunden und kämpfen deswegen auf allen Ebenen in einem geistlichen Kampf, damit die Frucht des Heiligen Geistes in ihrem Verhalten Gestalt bekommt. Ein Mensch, der sich nun über seine Sexualität definiert, vergöttert die Geschlechtlichkeit. Umgekehrt steht auch ein Christ vor der Aufgabe, den Bereich des geschlechtlichen Lebens aus der Gemeinschaft mit Christus heraus in Entsprechung mit den guten Geboten Gottes zu gestalten.

Im Buch klingt die von mir geschätzte Sichtweise zur Identität immer wieder durch. Beispielsweise wird Ethiker Oliver O’Donovan auf S. 113 mit folgenden Worten zitiert: Wenn das St. Andrew’s Day Statement2 sagt, „es gibt nicht so etwas wie ‚den‘ Homosexuellen oder ‚den‘ Heterosexuellen, dann bedeutet das nicht, dass die Begriffe überhaupt nicht sinnvoll verwendbar sind, sondern vielmehr, dass diese Unterscheidung ‚auf tiefster, das Wesen betreffender Ebene‘ kein Bestimmungsfaktor der Identität ist. Wenn sich jemand homosexueller oder heterosexueller Reaktionen auf andere Menschen bewusst ist, oder in der Tat auch beider, so enthüllt dieses Bewusstsein eine Qualität (wie das auch andere Qualitäten tun) der Person, von der man weiß, dass sie in Christus ruht. Sie sagt uns, ‚wie ich bin‘, ‚wie ich funktioniere‘, aber nicht ‚was ich bin‘.“ Ich glaube, dass es genau so ist. Das zeigt aber, dass ein Mensch, dessen Identität in Christus ruht, trotzdem im Bereich des Geschlechtlichen vor der Herausforderung steht, Antworten auf die Frage nach dem „Wie“ zu erhalten. Gemeinden und Seelsorger werden auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren sehr gefordert sein und Unterstützung benötigen.

Das zweite Kapitel zeichnet die Leitlinien einer christlichen Sexualethik nach. Die dafür zentralen Bibeltexte werden exegetisch gründlich beleuchtet. Neuere Versuche, die Befunde umzudeuten, indem zwischen guter (freiwilliger) und böser (gewaltbehafteter) Homosexualität unterschieden wird, werden nach eingehender Prüfung zurückgewiesen. „Es lässt sich abschließend sagen, dass die Bibel sich jeder Bejahung gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens widersetzt, sowohl hinsichtlich ihrer Gesamtschau der menschlichen Sexualität innerhalb der Werke Gottes von Schöpfung und Erlösung als auch in speziellen biblischen Texten im Alten und Neuen Testament, die dieses Thema unmittelbar ansprechen“ (S. 63). Die Autoren sehen sich hier nicht nur in der evangelikalen Tradition stehend, sondern berufen sich auch auf die Expertise nichtevangelikaler Theologen wie Richard M. Davidson3, Richard Hays4 oder Robert Gagnon5 (vgl. S. 64).

Das dritte Kapitel legt Möglichkeiten für den praktischen Umgang mit Menschen dar, die homosexuell empfinden und in einem christlichen Umfeld leben. Als nicht mehr wegzudenken erscheint hier die Unterscheidung zwischen Orientierung und Handlungen. Sexuelle Orientierung wird als Erfahrung des Verlangens beschrieben, wobei in Anlehnung an Mark A. Yarhouse zwischen gleichgeschlechtlicher Anziehung, Orientierung und Identität nuanciert wird. Im Unterschied zu den „Orientierten“ sind „Handelnde“ in eine direkte ethische Verantwortung hineingestellt. Kurz: Orientierung kann sich unserer Wahl entziehen oder ihr vorausgehen, die Tat ist immer Entscheidung. „Ob und wie auf jene Empfindungen hin zu handeln oder ob jene Identität auszuleben ist, bedarf der ethischen Entscheidung“ (S. 77). „Bezüglich des Verhaltens besteht die Notwendigkeit, die Folgen der biblischen Lehre zu bedenken, nämlich dass homosexuelle Handlungen unvereinbar sind mit dem Willen Gottes, wie er in der Bibel offenbart ist. Bezüglich der Beziehungen wird es darum gehen festzuhalten, dass keine andere Beziehung als der Ehe gleichwertig behandelt wird [gemeint im Blick auf die geschlechtliche Gemeinschaft, Anm. R.K.] und klar das Prinzip aufrechterhalten wird, wonach die monogame heterosexuelle Ehe die einzige Partnerschaftsform ist, für die Gott sexuelle Beziehungen gutheißt“ (S. 78).

Die Unterscheidung zwischen Orientierungen und Handlungen ist meiner Meinung nach hilfreich. Allerdings ist darauf zu achten, dass das gleichgeschlechtliche Begehren oder die gleichgeschlechtliche Orientierung nicht von einer ethischen Beurteilung suspendiert werden. Aus biblischer Sicht ist das gesamte Leben eine „Herzenssache“. Jesus weist beispielsweise in seiner Konfrontation mit den Gesetzestreuen darauf hin, dass vor Gott nicht nur das habituelle Verhalten, sondern auch das innere Verlangen zählt: „Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen (Mt 5,28).6 Begierde entgegen den Normen Gottes ist demnach ebenfalls ein Ausdruck unserer Sündhaftigkeit, unabhängig davon, ob es sich gleichgeschlechtlich oder verschiedengeschlechtlich manifestiert. In bestimmter Weise sind also auch Gedanken, Blicke, Träume oder Sehnsüchte Taten. Ich verstehe die Autoren so, dass sie diesen Zusammenhang nicht leugnen, sondern mit der Unterscheidung zwischen Orientierung und Handlung eine Hilfe für den seelsorgerlichen Umgang geben möchten.

Beruhend auf der Unterscheidung zwischen Orientierung und Handlung ermutigt das Kapitel homosexuell orientierte Christen, die enthaltsam leben, für eine Berufung in den geistlichen Dienst offen zu sein (vgl. auch Leitsatz 7 oben). Diejenigen, die in Übereinstimmung mit der biblischen Lehre leben, können „in den Bereich des christlichen Hirtendienstes wertvolle Einsichten und Erfahrungen einbringen“ und kommen „für Ordination und Leitungsdienste in der Kirche bzw. Gemeinde“ infrage (S. 81). Auch öffentliche Dienste, „die für das Leben und die Identität des Gemeindelebens von zentraler Bedeutung sind“, unterliegen „logischerweise denselben Erwartungen und Voraussetzungen, wie sie Ordinierte erfüllen müssen“ (S. 143). Was ist mit den Diensten, die weniger öffentlichkeitswirksam sind? Sollten solche Bereiche für aktive Homosexuelle geöffnet werden, falls diese, wie in einigen Gemeinden üblich, nicht von der Mitgliedschaft ausgeschlossen sind? Die Autoren erkennen an, dass eine solche Grauzone existiert, und empfehlen als Prüfkriterium den Vergleich mit anderen Problemzonen. Also: Wie geht die Gemeinde mit Ehebrechern oder notorischen Lügnern um (vgl. S. 143)? Hingewiesen wird darauf, dass ein lascher Umgang an dieser Stelle immer auch Christen schwächt, die sich für den Weg des Gehorsams entschieden haben, da ihre Entschlossenheit untergraben wird (S. 144).

Ich unterstütze die Autoren in ihrem Plädoyer. Homoerotisch empfindende Christen können im geistlichen Dienst ein großer Segen sein, insofern sie ihre Identität in Christus gefunden haben und in Übereinstimmung mit der biblischen Lehre leben. Freilich sollte eine gewisse Festigkeit und Bewährung vorausgesetzt werden, so wie auch bei Christen, die in anderen Bereichen zu kämpfen haben (Wer hat das nicht?). Die ebenfalls aus Großbritannien kommende Initiative „Living Out“ stellt nicht nur hilfreiche Informationen zu diesem Thema zur Verfügung, sie liefert auch Beispiele für Christen, die, obwohl homosexuell empfindend, einen erfolgreichen Dienst in der Gemeinde tun.7

Das vierte und fünfte Kapitel erörtern an Beispielen, was nun die Bindung an die Wahrheit und die Liebe für die Praxis konkret bedeuten. Das erste der beiden Kapitel stellt Szenarien vor, die die sexuelle Orientierung betreffen. Im folgenden Kapitel geht es um Situationen, die sexuelle Handlungen einschließen. Alle vorgestellten Beispiele sind fiktive Konstruktionen. Sie dürften sich für jene, die beispielsweise in der Gemeinde gleichgeschlechtlich empfindende Christen betreuen, als sehr nützlich erweisen. Für sehr gelungen halte ich die Betonungen von unterstützender Gemeinschaft, echten Freundschaften, überwindender Gemeinschaft und Beziehungen, die vom Kreuz geprägt sind (vgl. S. 103–106).

In die praktischen Überlegungen werden immer wieder Grundsatzüberlegungen eingeflochten, so etwa Betrachtungen zu den Ursachen und der Veränderbarkeit sexueller Orientierung. Die Autoren räumen den unterschiedlichen Erklärungsmodellen für die Entwicklung gleichgeschlechtlicher Anziehung eine relativ hohe Berechtigung ein. Bezugnehmend auf andere Untersuchungen fassen sie den Befund folgendermaßen zusammen: „‚Es ist wahrscheinlich, dass sexuelle Wünsche und Anziehungen auf ähnliche Weisen geformt und gestaltet werden, wie andere komplexe menschliche Verhaltensweisen, indem biologisch bestimmte Unterschiede des Temperaments und der Persönlichkeit in Wechselwirkung mit dem familiären und gesellschaftlichen Umfeld treten.‘ Deshalb bleiben die Worte des St. Andrew’s Day Statement richtig, dass ‚die Interpretation der homosexuellen Empfindung und des homosexuellen Verhaltens eine ‚Aufgabe‘ der Christen ist, die noch immer unangemessen angegangen wurde‘ und dass ‚viele wetteifernde Interpretationen des Phänomens in der zeitgenössischen Diskussion gefunden werden, von denen keine eine unbezweifelbare Grundlage durch wissenschaftlich erhobene Daten besitzt. Es besteht für die Kirche nicht die Notwendigkeit, irgendeine Theorie zu unterstützen, wohl aber die, von möglichst vielen zu lernen.‘“ (S. 96–97).

Was die Veränderbarkeit sexueller Anziehung anbetrifft, äußern sich die Autoren zurückhaltend. Einerseits weisen sie die Behauptung zurück, Bestrebungen zur Veränderung sexueller Orientierung seien generell unwirksam (S. 97–98). Andererseits legen sie nahe, keine zu großen Erwartungen zu wecken oder gar Versprechungen völliger Freiheit in den Raum zu stellen. Es scheint – so schreiben sie fast übervorsichtig – „einige Belege von signifikanten Veränderungen der Richtung der sexuellen Anziehung für eine Minderheit der Personen gegeben zu haben. Das häufigste Ergebnis ist aber entweder eine größere Zufriedenheit im Umgang mit anhaltender gleichgeschlechtlicher Anziehung oder gar keine Veränderung“ (S. 98–99).

Der Fachberater der deutschen Ausgabe, Professor Christoph Raedel von der Freien Theologischen Hochschule in Gießen, hat erfreulicherweise Verknüpfungen eingearbeitet, die für den deutschsprachigen Leserkreis von Interesse sind. Zu diesen grau hinterlegten Zusatzinformationen gehört ein Exkurs zu den Entwicklungen um die Dachorganisation Exodus. Exodus war von 1976 bis 2013 ein Hilfswerk, das Angebote für homosexuell empfindende Christen bereitgestellt hat. Alan Chambers, der langjährige Präsident der Organisation, stellte vor einigen Jahren jedoch die Veränderbarkeit sexueller Orientierung infrage und löste erhebliche Irritationen aus. Mehrere Gruppen zogen sich daraufhin aus dem Dachverband zurück, was 2013 schließlich zur Auflösung von Exodus führte.

Der Anhang enthält im Übrigen eine wertvolle Ausarbeitung Armin Baums zur revisionistischen Exegese biblischer Kernstellen von James Brownson. Brownson ist Professor für Neues Testament am Western Theological Seminar in Holland/Michigan (USA) und bekennt sich gleichzeitig zur Wahrheit und Autorität der Heiligen Schrift und zur Befürwortung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. In einem Buch, das in einem eher konservativen theologischen Verlag erschienen ist (Bible, Gender, Sexuality: Reframing the Church’s Debate on Same-Sex Relationships, Grand Rapids, Eerdmans, 2013), versucht er zu zeigen, dass eine Befürwortung homosexueller Treue-beziehungen biblisch gedeckt ist. Baum, Professor für Neues Testament ebenfalls an der Freien Theologischen Hochschule in Gießen, weist nach, dass Brownson sich von den ethischen Grundüberzeugungen des Apostels Paulus entfernt hat und Bibelausleger vor einer klaren hermeneutischen Alternative stehen: „Wer den sexualethischen Aussagen der Heiligen Schrift folgen will, muss homosexuellen Geschlechtsverkehr grundsätzlich – mit allen notwendigen Differenzierungen – für verkehrt halten (und von dort aus weiterdenken). Wer homosexuellen Geschlechtsverkehr – unter bestimmten Bedingungen – befürworten will, muss dies im Widerspruch zu den Aussagen der Heiligen Schrift tun“ (S. 154).

Die Herausgeber des Buches hätten meiner Meinung nach an der ein oder anderen Stelle mutiger sein dürfen. Verständlicherweise ist der Diskurs stark von gesellschaftlichen Erwartungen und seelsorgerlichen Erfahrungen geprägt. Dennoch finde ich die Haltung gelegentlich zu defensiv. Geben nicht gerade Schöpfung, Gebot und Evangelium wunderbare Antworten auf die Nöte der Menschen?

Zu bedenken ist aber, dass die Publikation nicht die Meinung eines Autors, sondern das Endergebnis eines Klärungsprozesses wiedergibt, den ein großer Dachverband durchlaufen hat. Insgesamt bin ich daher für diese Stellungnahme dankbar und erfreut, dass der Brunnen Verlag sich zu einer deutschsprachigen Herausgabe entschlossen und Christoph Raedel die Veröffentlichung fundiert betreut hat.

Mein Dozentenkollege Frank Hinkelmann, Präsident der Europäischen Evangelischen Allianz, fragt im Geleitwort, ob es „wirklich eines weiteren Buches zum Thema Homosexualität aus evangelikaler Perspektive bedarf?“ Seiner Antwort: „Wer das Buch gründlich durcharbeitet, wird diese Frage mit einem deutlichen Ja beantworten können“, stimme ich gern zu. Und ergänze: Wir werden weitere gute Bücher benötigen.

Buch

Andrew Goddard u. Don Horrocks (Hrsg.). Homosexualität: Biblische Leitlinien, ethische Überzeugungen, seelsorgerliche Perspektiven. Gießen: Brunnen Verlag, 2016. 176 S. 14,99 €.

Fußnoten

1 Insbesondere Judith Reisman hat sich durchdringend mit Kinsey beschäftigt (siehe: Kinsey, Crimes and Consequences, The Institute for Media Education, Crestwood, 2000). Christl R. Vonholdt hat freundlicherweise wichtige Ergebnisse der Forschungsarbeit von Reisman in dem Aufsatz „Hört ihr die Kinder weinen?“ zusammengetragen. Der Text kann eingesehen werden unter: http://www.dijg.de/paedophilie-kindesmissbrauch/alfred-c-kinsey-report (Stand: 04.06.2016).

2 Es handelt sich um ein Abschlussdokument einer Arbeitsgruppe, die von der Anglikanischen Kirche berufen wurde. Die schriftliche Stellungnahme ist 1995 veröffentlicht worden und kann eingesehen werden unter:  http://biblicalstudies.org.uk/pdf/churchman/110-02_102.pdf (Stand: 04.06.2016).

3 Richard M. Davidson. Flame of Yahweh: Sexuality in the Old Testament. Peabody, Mass.: Hendrickson Publishers, 2007.

4 Richard B. Hays. The Moral Vision of The New Testament. San Francisco: Harper, 1996.

5 Robert A. J. Gagnon. The Bible and Homosexual Practice. Nashville: Abingdon Press, 2001.

6 Vgl. dazu den hilfreichen Aufsatz: Denny Burk. „Is Homosexual Orientation Sinful?“. JETS 58, Vol. 1. S. 95–115.

7 Siehe dazu: http://www.livingout.org (Stand: 07.06.2016). Siehe auch: Ed Shaw. Same-sex Attraction and The Church. Downers Grove, Illinois: IVP Books, 2015.