Wohlstandsevangelium light: Verbreiteter als du denkst

Artikel von David Schrock
21. August 2017 — 8 Min Lesedauer

Während Evangelikale traditionell das Wohlstandsevangelium in seiner harten Form abgelehnt haben, gibt es doch eine weichere Form dieser Lehre, die unter uns nur allzu verbreitet ist.[1] Oft von bibeltreuen Christen unerkannt, nimmt es den Platz des wahren Evangeliums ein und führt seine Anhänger dazu, sich auf Dinge wie finanzielle Absicherung, Ernährung und Sport oder Strategien zur Selbstverbesserung zu konzentrieren. Im Gegensatz zum harten Wohlstandsevangelium, das wundersame und sofortige Gesundheit und Reichtum verspricht, fordert diese sanftere, subtilere Variante die Gläubigen auf, mit Hilfe der neuesten, vom Pastor vorgeschriebenen Technik zum gesegneten Leben durchzubrechen.

Natürlich sollten Fragen der persönlichen Haushalterschaft in Bezug auf Geld, Gesundheit und Leiterschaftsfähigkeiten Teil einer biblischen Theologie christlicher Jüngerschaft sein. Probleme entstehen jedoch, wenn Christen, und besonders Pastoren, größere Betonung auf diese zweitrangingen Dinge legen. Was wir predigen oder was wir hören, sagt viel darüber aus, was wir wertschätzen. Und was ich unter einigen Evangelikalen sehe, ist eine Bereitschaft, die geringen Belange des Gesetzes über die gewichtigeren Barmherzigkeiten des Evangeliums zu setzen.

Dies ist kein neues Anliegen. Andere haben Aspekte des Wohlstandsevangeliums mit Namen wie moralistisch-therapeutischer Deismus, Christentum ohne Christus oder Kommerzialisierung des Christentums beschrieben.[2] Eigentlich überlappen sich alle drei Beschreibungen, um das Wohlstandsevangelium zu beschreiben, das leicht übersehen wird, weil es für Christen, die Gott und den amerikanischen Traum lieben, so vernünftig erscheint.

Ein weicheres, subtileres Wohlstandsevangelium

Für diejenigen, die offene Augen haben, sind die Zeichen eines weichen Wohlstandsevangeliums im Evangelikalismus überall. Christliches Radio bietet eine „positive, aufbauende“ Erfahrung, mit unzähligen Liedern, die die Hörer einladen, Überwinder zu sein. Christliche Verlage bewerben Bücher, die Christen helfen, besser auszusehen, sich sicherer zu fühlen und ihr maximales Potential zu erreichen. Auf gleiche Weise werden Jeremia 29,11 und Philipper 4,13 von Christen als Mantra verfochten, die einen Unterschied in der Welt machen wollen.

„Wir alle müssen lernen, tiefer über den Inhalt unseres Glaubens nach-zudenken und die falschen Lehren des weichen Wohlstands-evangeliums zu widerlegen.“
 

Aber natürlich sind diese Beispiele nur Symptome und die Lösung ist nicht, christliche Einzelhändler zu verteufeln. Stattdessen müssen wir alle lernen, tiefer über den Inhalt unseres Glaubens nachzudenken und die falschen Lehren des weichen Wohlstandsevangeliums zu widerlegen (Tit 1,9).

Fünf Merkmale eines weichen Wohlstandsevangeliums

Um dabei zu helfen, ein weiches Wohlstandsevangelium zu erkennen, möchte ich fünf Merkmale vorstellen, wie sie besonders in Predigten und Büchern auftauchen.

1. Ein weiches Wohlstandsevangelium erhebt „Segnungen“ über den seligen Gott.

Wenn Segnungen von dem dreieinigen Gott getrennt werden, wird das Evangelium kompromittiert. Wahre Seligkeit ruht in Gott allein, „der Glückselige und allein Gewaltige, der König der Könige und der Herr der Herrschenden“ (1Tim 6,15). Das heißt, um Gottes Segen zu erhalten, muss man ihn selbst suchen (Jes 55,6–7; Mt 6,15). Christus ist der wahre Schatz (Mt 13,44–46) und jedes Streben nach Segen, bei dem Gott nur ein Mittel zum Zweck ist, ist falsch und götzendienerisch.

2. Ein weiches Wohlstandsevangelium reißt Verse aus dem heilsgeschichtlichen Rahmen der Bibel.

Wenn Prediger isolierte Verse als bewährte Prinzipien verkaufen, um Gottes Segen zu erhalten, entsteht ein falsches Evangelium. Anstatt alle Segnungen mit Christus in Verbindung zu setzen, wenden sie einzelne Verse direkt auf die Menschen heute an

„Wenn Prediger isolierte Verse als bewährte Prinzipien verkaufen, um Gottes Segen zu erhalten, entsteht ein falsches Evangelium.“
 

Solch eine Verheißung motiviert die Starken und zerstört die Schwachen. Wenn eine Bibelstelle nicht richtig in den heilsgeschichtlichen Rahmen der Bibel eingebettet wird, können Verse wie Psalm 1,3 zu einer Tretmühle werden, auf der sich ernsthafte Christen zermürben. Wahres, christuszentriertes, auslegendes Predigen verhindert diese Art der Manipulation eines Textes und schützt gegen das Evangelium des weichen Wohlstands.

Genauer gesagt, ein weiches Wohlstandsevangelium genießt die greifbaren Verheißungen des Alten Testaments.[3] Der Fehler besteht oft darin, den Gläubigen des Neuen Bundes Segnungen des Alten Bundes zu versprechen. Immer, wenn wir das Alte Testament lesen, müssen treue Bibelausleger die Verheißungen zuerst in Bezug zu Israel als historischem und theokratischem Staat setzen, dann zu Jesus, der das Gesetz vollkommen erfüllt hat (Mt 5,17) und schließlich zu uns. Weil wir unter dem Neuen Bund leben, wird es immer Kontinuität und Diskontinuität zwischen den Verheißungen des Alten Testaments und ihrer gegenwärtigen Erfüllung geben. Prediger müssen lernen, diese antiken Texte auf der Ebene des Textes, ihrer Epoche und des Kanons zu interpretieren.[4] Genauso müssen gesunde Gemeinden lernen zu sehen, wie jeder Segen in Beziehung zu Jesus Christus, dem Mittler des Neuen Bundes, steht.

3. Ein weiches Wohlstandsevangelium schmälert den Fluch, den Christus trug, und den Segen des Heiligen Geistes.

In der Bibel ist Seligkeit keine gestaltlose Vorstellung. In 5. Mose 27 und 28 wird der Inhalt der Segnungen und Flüche des mosaischen Bundes beschrieben. Indem sie diese Verse zitieren, verheißen Prediger eines weichen Wohlstandsevangeliums göttliche Segnungen geknüpft an größeren Gehorsam, aber sie ignorieren das Kleingedruckte. Nur ein Mensch war Gott so vollkommen gehorsam, dass er seinen Segen verdiente (Hebr 10,5–10). Und für seinen Bundesgehorsam wurde Jesus an einem römischen Kreuz hingerichtet, verflucht für die Sünden seines Volkes (Gal 3,10–13).

Das wahrscheinlich größte Problem mit dem weichen Wohlstandsevangelium ist die Art und Weise, wie es das Kreuz Christi als gegeben annimmt, ohne den Seligen zu verehren, der Gottes Zorn an unserer statt trug (Gal 3,13). Prediger eines weichen Wohlstandsevangeliums reden oft darüber, was du tun kannst, um Gottes Gunst zu erfahren, aber sie übergehen das Kreuz und lassen die Tatsache aus, dass jeder geistliche Segen des Gläubigen durch Jesus gewonnen wurde, der uns seinen Geist als den Segen schlechthin gibt (Gal 3,14; Eph 1,3). Obwohl sie das Evangelium nicht ablehnen, haben sie dennoch eine andere Betonung.

4. Ein weiches Wohlstandsevangelium hängt stark von den vom Pastor verschriebenen, therapeutischen Methoden ab.

Indem sie sich das Evangelium als gegeben angenommen wird, füllen Prediger eines weichen Wohlstandsevangeliums das Vakuum mit einer ganzen Reihe therapeutischer Methoden. Die Sprache Zions sprechend, betonen sie die guten Werke des Gläubigen. Obwohl sie Errettung aus Gnade durch Glauben nicht ausdrücklich ablehnen, unterminieren Pastoren, die immer wieder auf Lebenstipps, Techniken und Strategien für christlichen Erfolg pochen, den Glauben, der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist.

5. Ein weiches Wohlstandsevangelium spricht hauptsächlich die Probleme der Mittelschicht des Westens an.

Während die vier vorhergehenden Merkmale vielfach auf ein hartes oder ein weiches Wohlstandsevangelium angewendet werden können, bleibt ein auffallender Unterschied. Während das harte Wohlstandsevangelium seine Anhänger dazu aufruft, Gottes Segen zu benennen und zu beanspruchen, inspirieren Prediger des weichen Wohlstandsevangeliums wirtschaftliche Aufsteiger, ihre Träume zu erreichen. Im harten Fall beweisen gute Gesundheit und ein starkes Aktiendepot Gottes greifbare Errettung; im weichen Fall verkündigen die Prediger eine Religion therapeutischer Lösungen. Um einen dieser Lehrer zu zitieren: „Glaubst du an einen übernatürlichen Ertrag für dein Geben? Ja, Herr! Glaubst du, dass Gott den Zehnten und andere Opfer segnet? Ja, das tue ich. Aber warum sollten wir dir lehren, ein Auto einzufordern, ohne dir Dinge wie Ratenzahlung und Darlehensverzinsung beizubringen?“[5]

„Im Endeffekt besteht die Tragödie des weichen Wohlstands-evangeliums darin, dass es sich so stark auf irdische Verbesserungen konzentriert.“
 

Mit einem Wort, die Botschaft von T. D. Jakes verheißt das gleiche Gold, durch einen anderen Kreditrahmen – überreichen Glauben in Verbindung mit wohlgeordneten Werken. Dieses weiche Wohlstandsevangelium spricht Menschen aus der Mittelschicht des Westens an, die zu beschäftigt mit ihrem Leben sind, um eine Botschaft zu prüfen, die ihre natürlichen Erfolgsambitionen bestätigt. Tragischerweise bleiben „Gläubige“, die an dieses falsche Evangelium glauben, bezüglich ihres größten Bedürfnisses unwissend – Sühne für Sünde vor einem heiligen Gott – wenn sie nicht mit dem wahren Evangelium von Jesus Christus konfrontiert werden.

Eine bessere Theologie des Segens

Im Endeffekt besteht die Tragödie des weichen Wohlstandsevangeliums darin, dass es sich so stark auf irdische Verbesserungen konzentriert. Indem es Christen ihr bestmögliches Leben im hier und jetzt anbietet, gehen die ewigen Wirklichkeiten von Himmel und Hölle verloren. Das führt zu der sehr wahrscheinlichen Möglichkeit, dass viele, die das weiche Wohlstandsevangelium hören, verloren sind und bleiben.

Als Reaktion müssen Christen lernen, den Irrtum des weichen Wohlstandsevangeliums zu erkennen. Und wir – insbesondere Pastoren – müssen andere auf betende Weise daraus befreien. Erstens müssen wir bekennen, wie Verlangen nach weltlichem Erfolg sich auch unserem eigenen Herzen angeheftet hat. Zweitens müssen wir das biblische Evangelium darlegen, das über weltlichen Erfolg weit hinausgeht. Wir müssen die Reichtümer des wahren Evangeliums preisen und vertrauen, dass Gottes Schafe von ihren Sünden umkehren und Christus anhängen, wenn sie den Ruf hören, dass sie ihren Wohlstand aufgeben und kostenlos den einzigen Schatz empfangen, auf den es ankommt – Jesus Christus, unseren seligen König.


[1]  Über den Unterschied zwischen dem harten und dem weichen Wohlstandsevangelium siehe Kate Bowlers aufschlussreiche Studie Blessed: A History of the American Prosperity Gospel (New York: Oxford University Press, 2013), 78.

[2]  Gemäß der Reihenfolge im Text: Christian Smith und Melinda Lundquist Denton, Soul Searching: The Religious and Spiritual Lives of American Teenagers (New York: Oxford University Press, 2006); Michael Horton, Christless Christianity: The Alternative Gospel of the American Church (Grand Rapids: Baker, 2008); Stephen J. Nichols, Jesus Made in America: A Cultural History from the Puritans to The Passion of the Christ (Downers Grove, IL: IVP Academic, 2008).

[3]  Siehe eine Liste solcher Verse in Michael Schäfers Artikel, „The Prosperity Gospel and Biblical Theology“.

[4]  Für eine hilfreiche Abhandlung über diesen Ansatz siehe Edmund Clowney, Preaching and Biblical Theology (Philipsburg, NJ: P & R, 1979).

[5]  Zitiert in Bowler, Blessed, 119.