Die Aufgabe der Apologetik

Artikel von R.C. Sproul
22. September 2020 — 5 Min Lesedauer

2. Mose 3 erzählt die bekannte Geschichte, wie Gott sich Mose im brennenden Busch offenbarte und ihn beauftragte, dem Pharao zu sagen, dass er die Israeliten aus ihrer Knechtschaft in Ägypten freilassen sollte. Aber das war nur ein Teil von Moses Mission. Der andere Auftrag, zu dem der Herr Mose berief, bestand darin, mit den Israeliten zu reden. Er sollte den Israeliten befehlen, im Namen Gottes mit dem größten Angriff der Geschichte zu beginnen. In absolutem Widerstand gegen die Macht und die Autorität des Pharaos sollten sie Ägypten verlassen und in die Wüste hinausgehen, um Gott an seinem Berg anzubeten. Wie wir wissen, endeten diese Ereignisse mit dem Auszug aus Ägypten.

„Mose musste mit dem ‚hausinternen‘ Problem der Apologetik fertigwerden, nämlich die Gemeinde zu überzeugen, dass das Wort Gottes vertrauenswürdig ist und Ansprüche an ihr Leben stellt.“
 

Denk mal über den Auftrag von Mose nach. Mose, ein alter Mann, der jahrelang Schafe in der Wildnis gehütet hatte, sollte irgendwie einen Termin mit dem Pharao bekommen, dem mächtigsten Herrscher der damaligen Zeit. Aber in vielerlei Hinsicht war es noch schwerer, zu dem Volk Israel zu gehen und zu sagen: „Macht euch nichts aus den Streitwagen Ägyptens und den Armeen des Pharaos. Folgt mir und ich führe euch in das Verheißene Land.“ Welcher Sklave bei gesundem Verstand würde Mose beim Wort nehmen? Und das ist das Problem, das besonders in 2. Mose 4 angesprochen wird, wo Mose zu Gott sagt: „Aber siehe, sie werden mir nicht glauben und nicht auf mich hören, sondern sagen: Der HERR ist dir nicht erschienen!“ Und der Herr gab Mose viele Beweise, um den Israeliten zu zeigen, dass seine Behauptungen glaubwürdig waren.

In dieser Begegnung stellt Mose die Frage der Apologetik; die Frage, wie ein Gläubiger verteidigen kann, dass sein Glaube vernünftig ist. Er musste die Israeliten von der Wahrheit des Auftrags überzeugen und dass er von Gott kam. Er musste mit dem „hausinternen“ Problem der Apologetik fertigwerden, nämlich die Gemeinde – das Volk Gottes – zu überzeugen, dass das Wort Gottes vertrauenswürdig ist und Ansprüche an ihr Leben stellt.

Drei Ziele der Apologetik

Die Aufgabe der Apologetik ist die Verteidigung der Wahrheit des Christentums. Dabei verfolgt sie hauptsächlich drei Ziele. Ich denke, dass die meisten Christen zwei davon gut kennen.

Erstens, Apologetik soll eine Antwort an die Kritiker des christlichen Glaubens liefern, an die, die die rationale Basis für das Christentum unterminieren wollen oder es vom Standpunkt einer anderen Philosophie oder Religion aus kritisieren. Paulus tat das in Apostelgeschichte 17, als er den Epikureern und Stoikern die Stirn bot, das heißt Nachfolgern von zwei verbreiteten philosophischen Schulen seiner Zeit. Frühchristliche Apologeten wie Justin der Märtyrer schrieben an den römischen Kaiser, um die Christen gegen falsche Beschuldigungen wie Atheismus (weil die Christen die römischen Götter nicht anbeteten) und Kannibalismus (weil die Heiden das Abendmahl falsch verstanden) zu verteidigen.

Das zweite hauptsächliche Ziel von Apologetik ist es, die intellektuellen Götzen unserer Kultur niederzureißen. Hier geht die Apologetik in die Offensive, indem sie Inkonsistenzen und Irrtümer von anderen Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen aufzeigt.

Das dritte, und wie ich glaube wertvollste, Ziel von Apologetik ist es, die Heiligen zu ermutigen und die Gemeinde zu stärken – genau wie es das Hauptanliegen von Mose

„Die schwersten drei Jahre meines Lebens waren meine Jahre in der Bibelschule, weil ich als eifriger Christ in einer Festung des Unglaubens studierte.“
 

war, demonstrieren zu können, dass Gott ihn berufen hatte, um zu den Israeliten zu gehen und sie aus Ägypten herauszuführen. Mose war ein Apologet gegenüber seinem eigenen Volk.

Die schwersten drei Jahre meines Lebens waren meine Jahre in der Bibelschule, weil ich als eifriger Christ in einer Festung des Unglaubens studierte. Jeden Tag wurden kostenbare Lehren unseres Glaubens von meinen Professoren brutal angegriffen. Ein Professor schalt einen Studenten in meiner Klasse, weil er mit zu vielen fertigen Überzeugungen zur Bibelschule gekommen war, z.B. dass Christus Gott ist. Ein anderer Professor griff einen Studenten an, als er über das Kreuz predigte. „Wie können Sie es wagen, das stellvertretende Sühneopfer heutzutage zu predigen!“, sagte der Professor. Die Feindseligkeit in der Luft war geradezu greifbar, und das war entmutigend. Alle Arten von Fragen wurden gestellt, und obwohl ich die philosophischen Annahmen verstand, die hinter den Angriffen der Kritiker standen, gab es dennoch viele Fragen, die ich damals noch nicht beantworten konnte. Intuitiv ahnte ich, dass diese Männer falsch lagen, aber ich konnte ihnen nicht antworten.

Damals gab es im Prinzip nur eine bedeutende Bibelschule in den Vereinigten Staaten, die treu zur historisch-reformierten Theologie stand – das Westminster Theological Seminary in Philadelphia. Nachdem mein Unterricht für den Tag zu Ende war, las ich gewöhnlich Werke von Westminster-Professoren wie J. Gresham Machen, John Murray, Ed Stonehouse, Ed Young und anderen. Sie gaben mir die Antworten auf die Fragen, die ich hatte. Nach einer Weile war ich sicher – immer, wenn ich eine Frage hörte, die ich nicht beantworten konnte –,  dass Gott große, gelehrte Männer herangezogen hatte, die viel mehr wussten als ich und die fähig waren, Antworten auf diese skeptischen Fragen zu geben.

Vor vielen Jahren habe ich den Mitarbeitern von Ligonier (dass von R.C. Sproul selbst gegründet wurde, Anm. der Redaktion) einmal gesagt: „Die Arbeit, die wir in der Apologetik tun, wird vielleicht nicht in allen Einzelheiten von allen Christen, die sie hören, verstanden werden. Aber wenn wir diese Fragen beantworten und die Glaubwürdigkeit des Christentums zeigen können, werden die Menschen in der Kirche nicht durch die Stimmen des Skeptizismus, der sie umgibt, umgehauen.“ Wir kennen Studenten in unseren Gemeinden, die zur Universität gegangen sind – selbst zu angeblich „christlichen“ Institutionen – und in eine Glaubenskrise gerieten. In vielen Fällen ist ihr Glaube schwer ins Wanken gekommen, weil sie täglich für ihren Glauben an Christus angegriffen, verhöhnt und verlacht wurden. Was solche jungen Menschen brauchen, um ihre Ängste zu stillen, ist Aufgabe der Apologetik innerhalb der Gemeinde. Und es sind nicht nur Studenten – jeder von uns lebt in dieser gefallenen Welt. Weil Satan unseren Glauben nicht rauben kann, versucht er uns so einzuschüchtern, dass wir gelähmt sind und nicht mehr kühn auftreten. Nicht jeder ist berufen, professioneller Apologet zu werden, aber wir sind alle berufen, apologetische Fragen zu durchdenken und zu erkennen, dass es eine feste Grundlage für die Hoffnung, die in uns ist, gibt.