König der Bibelübersetzer

Das Leben von William Tyndale

Buchauszug von Steven J. Lawson
29. September 2017 — 11 Min Lesedauer

William Tyndale (ca. 1494-1536) leistete einen enormen Beitrag zur Reformation in England. Viele würden sagen, dass er den Beitrag leistete, indem er die Bibel ins Englische übersetzte und ihre Veröffentlichung beaufsichtigte. Ein Biograph, Brian Edwards, sagte von Tyndale, dass er nicht nur „das Herz der Reformation in England“ war, sondern „er war die Reformation in England“. Wegen seines mächtigen Gebrauchs der englischen Sprache in seiner Bibel wird dieser Reformator der „Vater des modernen Englisch“ genannt.

John Foxe ging so weit, ihn den „Apostel Englands“ zu nennen. Es gibt keinen Zweifel, dass Tyndale durch sein monumentales Werk den Kurs der englischen Geschichte und der westlichen Zivilisation beeinflusste.

Tyndale wurde irgendwann in den frühen 1490er Jahren geboren, wahrscheinlich 1494, in Gloucestershire, im ländlichen, westlichen Teil von England. Die Tyndales waren eine arbeitsame und wichtige Familie von gutverdienenden Freibauern, die die Mittel besaßen, um William zur Universität in Oxford zu schicken. 1506 kam William als Zwölfjähriger in die Magdalen Schule, vergleichbar zu einem Gymnasium, die Teil des Magdalen College in Oxford war. Nach zwei Jahren in der Magdalen Schule kam Tyndale ins Magdalen College, wo er Grammatik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik, Rhetorik, Logik und Philosophie erlernte. Er machte auch rapiden Fortschritt im Studium der Sprachen unter den besten klassischen Gelehrten Englands. Er erlangte 1512 einen Bachelor- und 1515 einen Masterabschluss. Bevor er Oxford verließ, wurde Tyndale zum Priester ordiniert.

Cambridge und der White Horse Inn

Als Nächstes ging Tyndale zum Studium zur Cambridge Universität, wo angenommen wird, dass er einen Abschluss erhielt. Viele Werke von Martin Luther wurden unter den Professoren und Studenten verbreitet, wodurch große Aufregung auf dem Campus entstand. In diesem Umfeld nahm Tyndale die wesentlichen Wahrheiten der protestantischen Bewegung an.

1520, nur drei Jahre nachdem Luther seine 95 Thesen angeschlagen hatte, fing eine kleine Gruppe von Cambridge Gelehrten an, sich regelmäßig zu treffen, um diese „neue“ Theologie zu diskutieren. Sie versammelten sich in einem Wirtshaus auf dem Campus des King’s College mit dem Namen White Horse Inn. Weil sie die Gedanken des deutschen Reformators diskutierten, wurde diese Gruppe als „kleines Deutschland“ bekannt. Die Gruppe umfasste viele zukünftige Führer der reformierten Bewegung.

1521 verspürte Tyndale das Bedürfnis, die akademische Umgebung zu verlassen, um intensiver über die Wahrheiten der Reformation nachzudenken. Er wollte außerdem Zeit zum Studium und Aufnahmen des griechischen Neuen Testaments gewinnen. Deshalb nahm er eine Stelle in Gloucestershire an, wo er für die wohlhabende Familie von Sir John Walsh arbeitete. Während dieser Zeit realisierte er, dass England nie evangelisiert werden würde, wenn es nur lateinische Bibeln gibt. Er erkannte, dass es „unmöglich ist, die Laien in irgendeiner Wahrheit zu gründen, außer wenn die Schrift vor ihre Augen in ihrer Muttersprache gelegt wird.“

Lokale Priester speisten oft zu Abend im Anwesen von Walsh, sodass Tyndale von erster Hand die erschreckende Unwissenheit der römischen Kleriker mitbekam. Während einer Mahlzeit entbrannte ein heftiger Streit zwischen ihm und einem katholischen Kleriker, wobei dieser sagte: „Wir sind lieber ohne die Gesetze Gottes als ohne die des Papstes.“ Tyndale erwiderte kühn: „Ich verachte den Papst und all seine Gesetze.“ Dann fügte er diese berühmten Worte hinzu: „Wenn Gott mir noch ein paar Jahre Lebenszeit gewährt, dann werde ich einem Jungen, der den Pflug zieht, ermöglichen, mehr von der Schrift zu wissen als du.“ Von diesem Punkt an war es die treibende Mission von Tyndale, die Bibel ins Englische zu übersetzen.

Mit Plan nach London

1523 reiste Tyndale nach London, um eine offizielle Genehmigung für sein Übersetzungsprojekt einzuholen. Er schaffte es, sich mit dem Bischof von London, Cuthbert Tunstall, zu treffen. Tyndale dachte, dass Tunstall offen für sein Übersetzungsprojekt wäre, aber er stieß auf Widerstand. Tunstall war entschlossen, die Verbreitung der Gedanken Luthers aufzuhalten, weil er einen Aufruhr in England fürchtete, so wie er in Deutschland nach der Veröffentlichung von Luthers deutscher Bibel 1522 geschah. Tunstall wusste, dass eine englische Bibel, in den Händen der Menschen, die reformierten Lehren unterstützen und die katholische Kirche herausfordern würde. Tyndale merkte schnell, dass er das Land verlassen werde müssen, wenn er sein Übersetzungsprojekt zustande bringen wollte.

Im April 1524 segelte Tyndale mit ungefähr 30 Jahren nach Kontinentaleuropa, um sein Übersetzungs- und Veröffentlichungswerk zu beginnen. Tyndale würde für die letzten zwölf Jahre seines Lebens als Flüchtling und Geächteter im Exil außerhalb von England leben.

Nachdem er in Hamburg ankam, scheint es, dass Tyndale zuerst nach Wittenberg reiste, um sich dem Einfluss Luthers auszusetzen, der die letzten Überreste der päpstlichen Autorität abgeworfen hatte. Hier begann Tyndale sein Übersetzungswerk, wobei er das Neue Testament vom Griechischen ins Englische übersetzte.

Im August 1525 reiste Tyndale nach Köln, wo er seine erste Übersetzung des Neuen Testaments abschloss. In dieser geschäftigen Stadt fand Tyndale einen Drucker, Peter Quentell, der seine Übersetzung veröffentlichte. Er wollte den Druck mit allen Mitteln geheim halten, aber die Neuigkeiten des Projekts sickerten durch. Ein bitterer Widersacher der Reformation, Johannes Cochläus, erfuhr dies und arrangierte sofort eine Durchsuchung der Druckerei. Aber Tyndale war vorgewarnt; weshalb er die gedruckten Blätter nach nur zehn Seiten zusammensammelte und bei Nacht entkam. Er flüchtete den Rhein entlang zu einer Stadt, die den Protestanten freundlicher gesinnt war: Worms.

1526 fand Tyndale einen Drucker, Peter Schöffer, der einwilligte, den Druck seines englischen Neuen Testaments fertigzustellen. Das war der erste Teil der Heiligen Schrift, die vom Griechischen ins Englische übersetzt und mechanisch gedruckt wurde. Circa 6000 Kopien wurden in klarem, allgemeinverständlichem Englisch gedruckt. Im Frühjahr 1526 begann Tyndale, sein englisches Neues Testament in Wollballen nach England zu schmuggeln. Die Nachfrage überstieg rasch das Angebot.

Bis zum Sommer 1526 wurde die Verbreitung des Neuen Testaments von Tyndale den Offiziellen der Kirche bekannt. Sowohl der Erzbischof von Canterbury als auch der Bischof von London waren außer sich. Sie versuchten, alle Kopien zu zerstören, die sie finden konnten, und erklärten zu einem ernsten Verbrechen, eine davon zu kaufen, zu verkaufen oder sogar zu besitzen. Aber diese Aktionen hielten nicht die Verbreitung der Übersetzung von Tyndale auf. Die Nachfrage stieg nur noch mehr an.

Am 18. Juni 1528 entsandte der Erzbischof von York, Kardinal Thomas Wolsey, drei Agenten nach Kontinentaleuropa, um aggressiv nach Tyndale zu suchen. Wolsey befahl auch John Hacket – dem englischen Botschafter in den Niederlanden – den Regenten seines Landes aufzufordern, die Festnahme von Tyndale zu autorisieren. Aber Tyndale zog sich aus Sicherheitsgründen nach Marburg zurück. Hacket berichtete schließlich, dass Tyndale nicht gefunden werden könne.

Übersetzung des Pentateuch

Im September 1528 wurde ein weiterer Versuch gestartet, Tyndale ausfindig zu machen. John West, ein Ordensbruder, wurde von England nach Kontinentaleuropa entsandt, um den Flüchtigen zu ergreifen und zurückzubringen. West landete in Antwerpen, zog sich in Zivilkleidung an und begann mit der Jagd nach Tyndale. Er suchte Städte ab und fragte Drucker aus. Weil er den Druck spürte, verblieb Tyndale in Marburg. Er verbrachte die Zeit, indem er sich selbst Hebräisch beibrachte, eine Sprache, die nicht in den englischen Universitäten gelehrt wurde, als Tyndale Student war. Mit dieser neuen Fertigkeit begann Tyndale, den Pentateuch vom Hebräischen ins Englische zu übersetzen.

1529 zog Tyndale von Marburg nach Antwerpen um. Diese florierende Stadt ermöglichte ihm gute Drucker, wohlwollend geneigte Engländer und eine direkte Versorgungsroute nach England. Unter dieser neuen Deckung schloss er die Übersetzung der fünf Bücher Mose ab, aber er fühlte, dass die Gefahr zu groß war, um in dieser großen Stadt zu bleiben. Er erkannte, dass der Pentateuch woanders gedruckt werden müsse. Deshalb bestieg Tyndale ein Schiff, um zur Elbmündung zu segeln und dann nach Hamburg. Aber ein schwerer Sturm erfasste das Schiff und es sank bei der Küste Hollands. Leider gingen seine Bücher, Schrift und die Übersetzung im Wasser des Meeres verloren. Er musste seine Arbeit von Neuem beginnen.

Tyndale schaffte es schließlich nach Hamburg. Dort wurde er in das Haus der von Emersons aufgenommen, einer Familie mit starker Sympathie für die Reformation. In dieser geschützten Umgebung unternahm Tyndale die aufwändige Arbeit, den Pentateuch erneut aus dem Hebräischen zu übersetzen. Diese Aufgabe dauerte von März bis Dezember 1529. Im Januar 1530 wurden die fünf Bücher Mose auf Englisch in Antwerpen gedruckt, dann nach England geschmuggelt und dort verteilt.

Im November 1530 versuchte Thomas Cromwell, ein Ratgeber von König Heinrich VIII., eine andere Strategie, um Tyndale zu besiegen. Er beauftragte Stephen Vaughan, einen englischen Kaufmann, der die Reformation unterstützte, Tyndale zu finden. Im Auftrag des Königs sollte Vaughan Tyndale ein Gehalt und sicheres Geleit zurück nach England anbieten. Als er in Kontinentaleuropa ankam, sandte Vaughan Briefe zu Tyndale. Dieser antwortete und es fand eine Reihe geheimer Treffen im April 1531 in Antwerpen statt. Jedoch befürchtete Tyndale, dass der König sein Versprechen sicheren Geleits brechen würde und sein Übersetzungswerk zu Ende wäre. Deshalb sagte Tyndale Vaughan, dass er nur unter einer Bedingung zurückkehren würde – der König muss die Bibel durch jemand anderen in die englische Sprache übersetzen lassen. Wenn der König das tun würde, sagte Tyndale, dann würde er nach England zurückkehren und niemals wieder übersetzen und selbst die Hinrichtung durch den König in Kauf nehmen.

Am 19. Juni schrieb Vaughan von Antwerpen aus zu Cromwell diese einfachen Worte: „Tyndale singt immer nur diese eine Note.“ Mit anderen Worten, Tyndale würde seine Melodie nicht ändern. Er würde nicht nach England zurückkehren, bis der König eine Bibel in englischer Sprache in Auftrag gegeben hätte.

Festnahme in Antwerpen

Im Frühjahr 1534 zog Tyndale in ein Haus in Antwerpen als Gast von Thomas Poyntz, einem reichen englischen Kaufmann, der, so der Tyndale Biograf David Daniell, „ein guter, schlauer Freund und loyaler Unterstützer“ war. Poyntz nahm Tyndale unter seinen Schutz und gewährte ihm sogar ein Stipendium.

Weil er sich sicher fühlte, begann Tyndale mit dem Werk, eine Revision seines Neuen Testamentes fertigzustellen. Diese zweite Ausgabe enthielt um die viertausend Änderungen und Verbesserungen der Ausgabe von 1526. Tyndales Hebräisch war jetzt so gut wie sein Griechisch, weshalb er den nächsten Teil seiner Übersetzung des Alten Testaments, Josua bis 2. Chronik, meisterhaft vollbrachte.

Zurück in England wurde einem Harry Phillips eine große Summe Geld von einem Vater gegeben, um einen Mann in London zu bezahlen. Aber Phillips verspielte das ganze Geld. Ein unbekannter hoher Offizieller der Kirche – wahrscheinlich der Bischof von London, John Stokesley – wurde von Phillips Situation unterrichtet und er bot ihm eine große Summe Geld an, um nach Kontinentaleuropa zu reisen und Tyndale zu finden. In seiner Verzweiflung nahm Phillips das Angebot an. Er kam in Antwerpen im frühen Sommer 1535 an und begann damit, die notwendigen Kontakte unter den englischen Kaufleuten zu knüpfen. Als er Tyndale aufspürte, begründete er heimtückisch eine Freundschaft mit ihm und gewann sein Vertrauen. Dann, eines Tages, lockte er Tyndale in eine enge Gasse, wo ihn Soldaten festnahmen. Nach zwölf Jahren als Flüchtiger wurde Tyndale gefasst.

Die Wohnung von Poyntz wurde durchsucht und ein Teil von Tyndales Besitz mitgenommen. Jedoch entging das sperrige Manuskript seiner Übersetzung von Josua bis 2. Chronik irgendwie der Durchsuchung. Aller Wahrscheinlichkeit nach war es in Besitz seines Freundes John Rogers, der es schließlich in der Matthew’s Bible (1537) druckte.

Eingesperrt in Vilvoorde

Tyndale wurde in der Burg von Vilvoorde, sechs Meilen nördlich von Brüssel, eingesperrt. Dort schmachtete er für fast anderthalb Jahre, während sein Prozess vorbereitet wurde. Foxe schreibt, dass Tyndale „selbst seine Feinde beeinflusste“, weil während seiner Gefangenschaft „von ihm gesagt wurde, dass er seinen Wächter bekehrte, dessen Tochter und andere Mitglieder seines Haushalts.“

Im August 1536 wurde Tyndale schließlich der Prozess gemacht. Eine lange Liste von Anklagen wurde gegen ihn gerichtet und er wurde als Ketzer verurteilt. Am selben Tag wurde Tyndale von der Priesterschaft exkommuniziert. Er wurde daraufhin den weltlichen Mächten zur Bestrafung übergeben. Das Todesurteil wurde ausgesprochen.

Tyndale wurde am 6. Oktober 1536 hingerichtet. Er wurde erdrosselt, verbrannt und sein Leichnam durch Schießpulver zur Explosion gebracht, aber kurz vor seinem Tod rief er diese berühmten letzten Worte: „Herr, öffne die Augen des Königs von England!“