Errettung lässt sich nicht kaufen

Artikel von Michael Haykin
1. November 2017 — 4 Min Lesedauer

Am 31. Oktober 1517 sandte Martin Luther, was als seine 95 Thesen bekannt geworden ist, an den Erzbischof und Kurfürst von Mainz, Albrecht von Brandenburg (1490-1545). Diese Tat wird gemeinhin als Auftakt der Reformation erachtet, die ohne Zweifel das wichtigste Ereignis der Kirchengeschichte des letzten Jahrtausends darstellt. Luthers Dokument schnitt ein ernstes theologisches Thema über ein wesentliches Element spätmittelalterlicher Frömmigkeit an, nämlich die Praxis des Ablasshandels. Von diesen Ablässen behauptete die römische Kirche, dass sie die Strafe für Sünden in diesem Leben und im Fegefeuer erlassen würden. Der Schlüsselprediger, der diese Erlässe in Mainz feilbot, war der dominikanische Ordensbruder Johann Tetzel (1465-1519). Luther zielte direkt auf ihn, als er in These 27 erklärte: „Lug und Trug predigen diejenigen, die sagen, die Seele erhebe sich aus dem Fegefeuer, sobald die Münze klingelnd in den Kasten fällt“, und, in These 35, dass solche Prediger „unchristliches predigen“. Auf das Heil durch den Erwerb eines päpstlichen Ablasses zu hoffen, war demnach „nichtig“ (These 52).

Protest gegen eine Religion finanzieller Bereicherung

Die römische Kirche bietet heutzutage weiterhin Ablässe an, obwohl nicht mehr in der krassen Art und Weise, wie Tetzel sie verkaufte. Aber die zutiefst schädliche Praxis, das Christentum zu verkaufen und davon zu profitieren – besonders deutlich in den Praktiken der sogenannten Wohlstandsprediger – ist besorgniserregend. Diese Prediger bieten christliche „Segnungen“ und „Salbungen“ im Austausch für Spenden an ihren jeweiligen Dienst an, eine abstoßende Praxis, die letztendlich wenig anders ist als die von Tetzel. Wie Luther musste der Apostel Paulus mit Menschen umgehen, die Religion dazu verwendeten, ihre Taschen zu füllen. Obwohl Luther in seinen Thesen nicht die Worte von Paulus aus 1. Timotheus 6,5 zitierte, treffen sie doch sowohl auf Luthers Zeit als auch auf die unsrige zu. Die von Gott eingegebene Antwort des Paulus an solche Menschen ist eindeutig: „[Sie haben] eine verdorbene Gesinnung und [sind] der Wahrheit beraubt und meinen, die Gottesfurcht sei ein Mittel zur Bereicherung“ (1Tim 6,5).

Statt päpstliche Ablässe zu kaufen, empfahl Luther den Menschen, ihr Geld für gute Werke einzusetzen, um zum Beispiel den Armen und Bedürftigen zu helfen (These 43). Luther betonte in diesem revolutionären Dokument sogar, dass der Einsatz von Geld für Ablässe, obwohl man weiß, dass sein Nächster in schwerer finanzieller Not steckt, nicht Vergebung und Errettung bewirkt, sondern den Zorn Gottes.

Protest gegen eine leere Frömmigkeit

Luther dachte nicht, dass er durch seine 95 Thesen eine religiöse Revolution anzettelte oder den Papst kritisierte. Aber er merkte an, mit einem Maß von schwarzem Humor, dass wenn der Papst die Macht hätte, die Sünden der Gläubigen im Fegefeuer zu erlassen, fraglich ist, warum er dann nicht „das Fegefeuer räumt“ (These 82)? Luther erklärte in mächtigen Worten, die das geistliche Herz der Reformation offenbaren: „Jeder wahre Christ … hat, ihm von Gott geschenkt, teil an allen Gütern Christi und der Kirche, auch ohne Ablassbriefe“ (These 37). Durch das Studium der Schrift hatte Luther erkannt, dass ein einfacher Glaube von Herzen an den gekreuzigten und auferstandenen Christus Gottes reichste Segnungen erlangt. Wozu benötigte der Gläubige dann noch päpstliche Ablässe, die mit menschlichen Sorgen und Ängsten für finanziellen Profit handelten?

Der wahre Schatz der Kirche lag nicht in diesen schäbigen Scheinablässen, sondern in „dem heiligen Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes“ (These 62). An diesem Punkt in seiner theologischen Entwicklung hatte Luther noch nicht, was wir jetzt sola scriptura nennen, angenommen, nämlich, dass die Schrift die oberste Autorität über das ganze Leben und die Lehre ist. Aber diese Aussage in These 62 nimmt es gewiss vorweg. Das Evangelium in den Büchern, die es rein verkünden, nämlich der Heiligen Schrift, ist ein Schatz unschätzbaren Wertes in dieser Welt. Und das war nicht nur in Luthers Zeit wahr, sondern auch in unserer. Während das Volk Gottes von jedem Gebiet menschlichen Lernens profitieren kann, ist die Heilige Schrift allein unfehlbar, und der sicherste Weg, um Gott zu verherrlichen und sich an ihm zu erfreuen, ist voll und ganz auf sie zu hören.

Was macht demnach für Luther ein Leben wahrer Frömmigkeit aus? Die erste und letzte These erklären das sehr genau. Das christliche Leben ist zunächst eine aufrichtige Umkehr zu Gott jeden Tag des Lebens: „Das ganze Leben der Glaubenden sei Buße“ (These 1). Sie müssen ihren Herrn „durch Leiden, Tod und Hölle nachfolgen und dürfen so darauf vertrauen … in den Himmel einzugehen“ (Thesen 94-95). Das christliche Leben umfasst Trübsal – der anhaltende Tod dem Selbst und der Sünde sowie Verfolgung. Aber es wird gestützt durch ein festes Vertrauen, das aus Glauben allein geboren wird. Und es ist dieser Glaube, nicht leere Ablässe oder selbst gute Werke, der jemanden, durch Gottes Gnade, in den Himmel bringt. Das war gute Nachricht in Luthers Zeit – und es ist immer noch gute Nachricht in der unsrigen.