Glaube & Buße
Was kommt zuerst?
Wenn das Evangelium verkündigt wird, scheint es auf den ersten Blick so, als ob zwei, vielleicht sogar alternative, Antworten gefordert werden: Manchmal ist der Aufruf: „Tut Buße!“ Johannes der Täufer kam und predigte in der Wüste von Judäa: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe herbeigekommen!“ (Mt 3,1–2). Auch Petrus forderte seine Hörer, deren Gewissen am Pfingsttag überführt wurde, auf: „Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi“ (Apg 2,38). Später rief Paulus die Athener dazu auf, „Buße zu tun“, um dadurch auf die Botschaft vom auferstandenen Christus zu antworten (Apg 17,30).
Jedoch zu anderen Anlässen ist die angemessene Antwort auf das Evangelium: „Glaube!“ Als der Kerkermeister in Philippi Paulus fragte, was er tun müsse, um gerettet zu werden, antwortete der Apostel: „Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du gerettet werden!“ (Apg 16,31)
Aber es gibt hier kein Geheimnis oder einen Widerspruch. Später in Apostelgeschichte 17 erfahren wir, dass genau da, wo Buße als Antwort gefordert war, die Bekehrten als gläubig beschrieben werden (Apg 17,30.34).
Jedwede Verwirrung wird durch die Tatsache aufgeklärt, dass Jesus, als er das „Evangelium vom Reich Gottes“ in Galiläa verkündigte, seine Hörer aufforderte: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,14–15) Hier gehören Buße und Glaube zusammen. Sie bezeichnen zwei Aspekte einer Bekehrung, die gleich wesentlich sind. Demnach unterstellt jeder Ausdruck das Dasein des anderen, weil jede Wirklichkeit (Buße oder Glaube) das sine qua non der anderen ist.
In grammatischen Begriffen gesprochen, fungieren die Worte Buße tun und glauben jeweils als eine Synekdoche – eine Redeweise in der ein Teil für das Ganze gebraucht wird. Demnach impliziert Buße tun Glaube und Glaube Buße tun. Das eine kann nicht ohne das andere existieren.
Aber was kommt zuerst, von der Logik her? Ist es Buße? Ist es Glaube? Oder hat keines einen absoluten Vorrang? Darüber gab es in der reformierten Theologie eine lange Debatte. Jede von drei Antworten hatte Fürsprecher.
Erstens, W.G.T. Shedd bestand darauf, dass Glaube der Buße natürlicherweise vorausgehen muss: „Obwohl Glaube und Buße untrennbar und zeitgleich sind, geht Glaube aber natürlicherweise der Buße voraus“ (Dogmatic Theology, 2.536). Shedd argumentierte dafür aufgrund dessen, dass die antreibende Kraft für Buße im Glauben liegt, der die Barmherzigkeit Gottes erfasst. Wenn Buße dem Glauben vorausginge, hätten sowohl Buße als auch Glauben gesetzlichen Charakter und würden beide zu Vorbedingungen der Gnade werden.
Zweitens, Louis Berkhof scheint die gegenteilige Position vertreten zu haben: „Es besteht kein Zweifel, logisch gesehen, dass Buße und Erkenntnis der Sünde dem Glauben vorausgehen, der sich Christus in vertrauender Liebe hingibt“ (Systematic Theology, S. 492).
Drittens, John Murray betonte, dass dieses Thema
eine unnötige Frage aufwirft und dass das Bestehen darauf, dass eins vor dem anderen kommt, vergeblich ist. Es gibt keinen Vorrang. Der Glaube, der zur Errettung führt, ist ein bußfertiger Glaube, und die Buße zum Leben ist eine glaubende Buße … rettender Glaube ist durchdrungen von Buße und Buße ist durchdrungen von rettendem Glauben. (Redemption – Accomplished and Applied, S. 113).
Das ist gewiss die biblischere Perspektive. Wir können das Abwenden von Sünde in Buße nicht trennen von dem Kommen zu Christus im Glauben. Sie beschreiben die gleiche Person bei der gleichen Handlung, aber aus unterschiedlichen Blickrichtungen. In einem Fall (Buße), wird die Person in Bezug auf die Sünde gesehen; im anderen Fall (Glaube) wird die Person in Bezug auf den Herrn Jesus gesehen. Aber der Mensch, der auf Christus vertraut, wendet sich gleichzeitig von der Sünde ab. Im Glauben tut er Buße und in der Buße glaubt er. Vielleicht hat R.L. Dabney es am besten ausgedrückt, als er sagte, dass Buße und Glauben „Zwillingsgnaden“ sind (wir könnten vielleicht sagen „siamesische Zwillinge“).
Aber, indem wir das gesagt haben, haben wir auf keinen Fall alles gesagt, was es zu sagen gilt. Verschlungen mit jeder Theologie der Bekehrung ist eine Psychologie der Bekehrung. In jeder Person kann, auf der Bewusstseinsebene, einer Wahrnehmung der Buße oder des Vertrauens vorherrschen. Was theologisch vereint ist, kann psychologisch verschieden sein. Demnach kann eine Person, die zutiefst von der Schuld und der Knechtschaft der Sünde überführt ist, das Abwenden von ihr (Buße) als die vorherrschende Wahrnehmung in seiner oder ihrer Bekehrung erfahren. Andere (deren Überführungserfahrung sich nach ihrer Bekehrung vertieft) können eine vorherrschende Wahrnehmung des Staunens über Christi Liebe haben, mit weniger Ringen der Seele auf einer psychologischen Ebene. Hier hat die Person ein größeres Bewusstsein dafür, dass sie auf Christus vertraut, statt, dass sie Buße für ihre Sünde tut. Aber in einer wahren Bekehrung kann keins ohne das andere existieren.
Die psychologischen Begleitumstände der Bekehrung können variieren, manchmal in Abhängigkeit von der vorherrschenden Evangeliumsbetonung, die dem Sünder vorgelegt wird (die Sündhaftigkeit der Sünde oder die Größe der Gnade). Das entspricht dem schlauen Kommentar der Westminster-Theologen, dass der Glaube (d.h. die vertrauende Antwort eines Menschen auf das Wort des Evangeliums) „danach auf verschiedene Art und Weise handelt, je nachdem, was die einzelnen Schriftstellen beinhalten“ (WCF 14.2).
In keinem Fall jedoch kann eine echte Bekehrung ohne die Gegenwart von sowohl Buße als auch Glauben geschehen, und deshalb nicht ohne sowohl Freude als auch Trauer. Eine „Bekehrung“, die jegliches Bedauern der Sünde ermangelt, die das Wort ausschließlich mit Freude aufnimmt, wird vorübergehend sein.
Jesu Gleichnis vom Sämann ist hier lehrreich. Bei einer Bodenart sprießt der Same schnell auf, aber stirbt plötzlich ab. Dies repräsentiert „Bekehrte“, die das Wort mit Freude aufnehmen – aber mit keinem Gefühl für den brachen Boden, der durch Überführung von Sünde oder einem Schmerz durch das Abwenden von ihr aufgebrochen wird (Mk 4,5–6.16–17). Auf der anderen Seite wird eine Bekehrung, die aus Reue über die Sünde ohne jegliche Freude über die Vergebung besteht, sich am Ende als reine „Betrübnis der Welt“ erweisen, die „den Tod bewirkt“ (2Kor 7,10). Sie wird schließlich zu nichts werden.
Dies wirft jedoch eine letzte Frage auf: Stellt die Notwendigkeit der Buße bei der Bekehrung eine Art von Werk dar, das von dem Glauben ablenkt, der mit leeren Händen zu Gott kommt? Kompromittiert sie die Gnade?
Mit einem Wort: Nein. Sünder müssen immer mit leeren Händen kommen. Aber das ist genau der Punkt. Von Natur aus sind meine Hände voll (von Sünde, Selbst und meinen eigenen „guten Werken“). Aber Hände, die voll sind, können nicht Christus im Glauben ergreifen. Stattdessen werden sie, indem sie ihn ergreifen, geleert. Das, was uns daran hindert, ihm zu vertrauen, fällt unweigerlich zu Boden. Der alte Lebensweg kann nicht in den Händen behalten werden, die den Retter ergreifen.
Ja, Buße und Glaube sind zwei wesentliche Elemente der Bekehrung. Sie stellen Zwillingsgnaden dar, die niemals getrennt werden können. Wie uns Johannes Calvin richtig mahnt, gilt das nicht nur für den Anfang, sondern für das komplette christliche Leben. Wir sind glaubende Büßer und büßende Gläubige auf dem ganzen Weg zur Herrlichkeit.