Was nur das Christentum Transgender-Personen anzubieten hat   

Artikel von Sam Allberry
23. April 2018 — 6 Min Lesedauer

Es geht nur selten ein Tag vorüber, an dem das Thema Transgender es nicht in die Nachrichten schafft. Dabei kann es sich um eine Reportage über eine Person handeln, die ihr Geschlecht wechselt, und wie sie von ihrer Umgebung aufgenommen wird (oder auch nicht). Oder es geht um die politischen Rechte von Transgender-Männern und -Frauen und darum, welche Toiletten ihnen zur Verfügung stehen sollten. Es könnte mit komplexen Debatten über die Ursachen und den Umgang mit Transsexualität zu tun haben. Doch eine Sache ist klar: Das Thema wird nicht so schnell wieder verschwinden und wir als Christen können es uns nicht leisten, es zu vermeiden.

Trotzdem wollen viele von uns genau das tun. Wir wissen, dass wir einen unglaublich sensiblen Boden betreten. Wir wissen, dass wir mit Bereichen von tiefem persönlichem Schmerz von vielen Männern und Frauen zu tun haben und sind deswegen vorsichtig damit, etwas zu sagen, was diesen Schmerz verstärken könnte.

Vielleicht wissen wir nicht, was wir über die politischen Debatten um uns herum denken sollen. Vielleicht haben wir das Gefühl, dass wir einfach nicht genug über Transgender wissen, um etwas mit voller Überzeugung darüber zu sagen. Wenn man versucht in einer Konkordanz nach „Transgender“ zu suchen, wird man sehr wahrscheinlich nicht fündig.

Doch das Evangelium ist immer eine gute Botschaft – für jeden. Mir fallen zwei konkrete Erkenntnisse ein, die das Evangelium anbietet, die einen guten Ausgangspunkt für unsere Antwort bilden könnten.

1. Ein einzigartiges Verständnis

Geschlechtsdysphorie, das Gefühl eines tiefgreifenden Unbehagens mit dem Geschlecht seines eigenen Körpers, ist oft enorm schmerzhaft. Für einige ist es chronisch, es reicht sogar bis in die frühe Kindheit zurück. Für viele fühlt sich diese emotionale Last unerträglich an. Niemand kann diesen Schmerz leugnen. Und Christen können in einer einzigartigen Weise eine Erklärung liefern.

Dazu gibt Paulus uns einen wichtigen Einblick in die Welt, in der wir leben:

„Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.“ (Röm 8,20–21)

Mit der Schöpfung ist nicht alles in Ordnung. Die physische Welt ist „unterworfen der Vergänglichkeit“, der Frustration. Sie funktioniert nicht so, wie sie sollte. Sie ist aus den Fugen geraten. Sie wurde dieser Frustration von Gott unterworfen. Der größere biblische Erzählrahmen erklärt es. Gott verfluchte die Erde als Gericht über die Sünde der Menschen (1Mose 3,17). Mit anderen Worten: Die Welt ist nicht in Ordnung, als Folge und als Beweis dafür, dass wir nicht in Ordnung sind.

„Die Welt ist nicht in Ordnung, als Folge und als Beweis dafür, dass wir nicht in Ordnung sind.“
 

Was auf die Welt im Allgemeinen zutrifft, trifft auch auf unsere Körper zu. Sie sind Teil der physischen Ordnung, die dieser Frustration unterworfen wurden. Wir sehen diese Frustration auf verschiedenen Ebenen. Einige erleben unermüdliche gesundheitliche Probleme, andere kämpfen mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten mit ihrem eigenen Körperbild, wieder andere erleben eine Geschlechtsdysphorie – sie haben das Gefühl, im falschen Körper gefangen zu sein. Tatsache ist, dass praktisch niemand eine vollkommen reine Beziehung zu seinem eigenen Körper hat. Davon ist das Leben in dieser Welt geprägt. Während es stimmt, dass jeder dieses Problem sehen kann, können Christen in einer einzigartigen Weise eine Erklärung anbieten.  

Die Bibel zeigt uns, dass Sünde eine tiefe Entfremdung verursacht hat – an erster Stelle von Gott, mit anderen Entfremdungen darauf folgend. Wir sind voneinander entfremdet. Wir sind uns selbst entfremdet. Was ganz und ganzheitlich gedacht war – unser Verstand, Körper und Geist – ist nun tiefgreifend zerbrochen. Wir fühlen uns nicht wie wir selbst.

„Unsere Gemeinden sollten Orte sein, an denen Leute sich am sichersten fühlen, wenn sie versuchen ihre eigene Wahrnehmung auszudrücken über das, was nicht in Ordnung ist.“
 

Das Wissen um diese Dinge sollte uns mitfühlend machen. Während heutzutage viele Gedanken rund um das Thema Transgender fehlerhaft sind, ist der Schmerz, den Menschen mit Geschlechtsdysphorie erleben, nur allzu real. Von allen Menschen sollten gerade wir uns bewusst sein, warum das so ist, denn von allen Menschen wissen wir um den wahren Abgrund dessen, was verkehrt ist mit der Welt. Unsere Gemeinden sollten Orte sein, an denen Leute sich am sichersten fühlen, wenn sie versuchen ihre eigene Wahrnehmung auszudrücken über das, was nicht in Ordnung ist.

2. Eine einzigartige Hoffnung

Doch die Bibel endet nie mit einer Diagnose. So wie wir ein einzigartiges tiefes Verständnis anzubieten haben, können wir Menschen auch auf eine einzigartige solide Hoffnung hinweisen. Wir erleben alle den Fluch des Sündenfalls in unserem Körper. Doch die Antwort auf das Problem in unserem Körper – zusammen mit der Antwort auf jegliche unserer Probleme – lässt sich niemals in uns selbst finden. Was auch immer wir an unserem Körper tun, um vermeintliche Probleme zu überwinden, wir werden nie in der Lage sein, das zu beheben, was wirklich hinter unserer Selbstentfremdung liegt.

Wir können unser Erscheinungsbild verändern; wir können viel von dem verändern, was wir für falsch halten. Doch wir werden nie die wahre Freiheit finden, nach der wir uns so sehr sehnen. Nichts, was wir an unserem Körper tun können, wird uns helfen, uns als unser wahres Selbst zu fühlen – zumindest nicht auf Dauer.

„Die Antwort auf das Problem in unserem Körper lässt sich niemals in uns selbst finden.“
 

Nein, die einzige Antwort auf unsere Erfahrung der Zerrissenheit in unserem Körper können wir in der äußersten Zerrissenheit von Christi Körper finden. Er erlebte äußerstes Leiden. Sein Körper war der von den anderen am meisten geschmähte. Die äußerste Dysphoria, die jemals erlebt wurde, war, als er, „der keine Sünde hatte für uns zur Sünde gemacht wurde“ (2Kor 5,21). Er steckte wirklich in der falschen Haut. Trotzdem ging er für uns durch all das. Er erlebte äußerste Zerrissenheit, damit wir sie nicht erleben müssen.

Das Problem mit unserem Körper stellt sich als das Problem mit jedem Teil von uns heraus. Sie machen die Zerrissenheit in einer Weise deutlich, die auf die Zerrissenheit in jedem von uns hinweist. Wir haben uns von Gott abgewandt, sodass nichts so ist, wie es sein sollte. Der Anfangspunkt für den christlichen Glauben ist diese Erkenntnis. „Glückselig die Armen im Geist“, sagte Jesus (Mt 5,3). Er sagte nicht: „Glückselig sind diejenigen, die denken, dass bei ihnen alles glatt läuft.“

Körperliche Zerrissenheit jeglicher Art kann uns zu dem zerbrochenen Körper Christi führen, wenn wir unsere Augen öffnen – und durch diese Zerrissenheit zu der Wiederherstellung und Heilung, die durch ihn kommt. Christus anzunehmen garantiert keine Lösung in diesem Leben für unsere körperliche Zerrissenheit, die wir erleben. Doch es gibt uns eine sichere und zuversichtliche Hoffnung, dass wir eine perfekte Beziehung zu unserem Körper in der kommenden Welt haben werden.