Paul: A Biography

Rezension von David Briones
16. Mai 2018 — 17 Min Lesedauer

N.T. Wright versetzt mich immer wieder ins Erstaunen. Sein Schreibstil ist einnehmend; seine Redewendungen sind kreativ; seine Rhetorik ist symphonisch. Es muss eine einzigartige Person sein, die erstaunliche Fähigkeiten besitzt, um auf der höchsten Ebene der Gelehrsamkeit und gleichzeitig auf einer populären Ebene mit solcher Klarheit der Gedanken und Überzeugungskraft zu schreiben. Dies sind die Merkmale, die Wright zu einem der meistbekannten Autoren unserer Tage gemacht haben. Es überrascht deshalb nicht, dass sein neues Buch, Paul: A Biography, die Wrights einzigartige Gabe zur Schau stellt, momentan auf Platz eins der Amazon Bestseller über die Briefe des Paulus steht.

Aber Wright bleibt eine kontroverse Figur. Ob in der akademischen Welt oder in der Kirche sind sich Gelehrte, Pastoren und Christen allgemein über ihn unsicher. Sie loben ihn zweifelsohne für sein grundlegendes Werk über die Historizität der Auferstehung gegenüber der bibelkritischen Wissenschaft (The Resurrection of the Son of God), ziehen Nutzen aus vielen Aspekten seiner biblischen Theologie und erfreuen sich besonders an seiner exzellenten Kritik der Entrückungstheologie (siehe Paulus, Seite 221, 224-225). Aber sie haben auch mit Sicherheit Einwände gegen seine Sichtweisen auf Rechtfertigung, Gerechtigkeit, Werke und das Jüngste Gericht. Natürlich ist nicht jeder ein Kritiker. Viele in der evangelikalen Welt lesen Wright mit Wertschätzung, lieben ihn unbeirrt und empfehlen ihn eifrig weiter. Aber diejenigen, die von reformierten Theologen beeinflusst worden sind, ob aus dem 16. oder dem 21. Jahrhundert, lesen Wright kritischer, untersuchen ihn genauer und fordern ihn beharrlich heraus. Auf dieser Seite stehe ich und ich konnte nicht anders, als eine Buchbesprechung zu schreiben, die den Autor dieses Bestsellers als einen historischen Biographen und theologischen Polemiker sieht, wobei ich schließlich unsere Aufmerksamkeit auf den kritischen Unterschied zwischen Wright und der reformierten Theologie lenke. Aber, bevor ich das tue, ist ein Wort über die beabsichtigte Leserschaft dieses Buchs notwendig.

N.T. Wrights beabsichtigte Leserschaft

Es scheint, dass Wright zwei hauptsächliche Gruppen im Blick hatte: diejenigen, die einen falschen hermeneutischen, exegetischen und theologischen Rahmen haben (d.h. Nachfolger von sowohl der reformierten Tradition als auch des mittelalterlichen Katholizismus; siehe besonders Seite 408), und diejenigen, die einen übermäßig skeptischen Rahmen haben (d.h. Menschen, die das Irdische besser verstehen können als das Himmlische; siehe Seite 9). Und doch, die eine Gruppe, die hauptsächlich im Fadenkreuz von Wright steht, ist die, die am meisten von der reformierten Tradition beeinflusst wurde.

Obwohl er Martin Luther knapp dafür lobt, dass er Paulus auf eine „frische“ Weise gelesen hat (Seite 420), kritisiert Wright beharrlich die reformierte Tradition. Eine meiner Lieblingsstellen ist, als er den „‚Himmel und Hölle‘ Deutungsrahmen des Hochmittelalters“ diskutiert, „zu dem die Reformatoren des 16. Jahrhunderts wichtige Weiterentwicklungen boten, aber der im besten Fall eine Entstellung der Perspektive des 1. Jahrhunderts war“ (Seite 8). Er sagt dazu weiter: „Wieder einmal muss man zu große Vereinfachungen vermeiden, besonders jedwede Unterstellung (und das ist oft geschehen), dass die galatischen Jesusnachfolger in der guten reformierten Theologie unterrichtet gewesen waren, und nun den Arminianismus oder Pelagianismus annahmen, indem sie zu ihrem gottgegebenen Heil etwas durch das Tun eigener ‚guter Werke‘ hinzufügen wollten“ (Seite 152). Und ich kann diese Stelle nicht auslassen: „Die traditionelle Übersetzung der Frage des Kerkermeisters in Philippi, ‚Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?‘, klingt eher wie ein verzweifelter Ruf eines Puritaners aus dem 17. Jahrhundert, der sich sorgt, wie er in den Himmel kommt“ (Seite 183).

Wieder und wieder äußert Wright einen modernen ad fontes Aufruf und sagt im Prinzip: „Zurück zu Paulus und seinem Kontext des 1. Jahrhunderts! Weg von Luther, Calvin und dem 16. Jahrhundert!“ Das ist der beständige Aufruf der Neuen Paulusperspektive. Es wurde uns gesagt, dass wir einfach nicht akzeptieren können, was „spätere Theologen und Prediger angenommen haben, worüber Paulus redete“ (Seite 8), weil sie, für Wright und viele andere, falsch lagen. Jeder verständige Leser kann hier eine von der Aufklärung geprägte Rückkehr zum Individuum, zu Skeptizismus gegenüber der theologischen Tradition und zu annahmengesteuerter Exegese wahrnehmen (siehe Seite 12-13) und in seinen autobiographischen Anmerkungen sogar eine Form von Biblizismus, besonders, wenn er es so scheinen lässt, dass alles, was wir brauchen, eine Bibel und eine Griechischlexikon sei, um zu seinen Ergebnissen zu kommen (siehe Seite 5-7). Noch verstörender ist, dass Wright als jemand rüberkommt, der entweder Entstellungen der reformierten Tradition angreift oder nie wirklich die ursprünglichen Quellen der Reformatoren gelesen hat. Dankbarerweise gibt es jedoch viele kritische Gelehrte, die die Reformatoren gelesen haben und nicht Wrights antireformatorische, eigenwillige Lesart von Paulus übernehmen. Stephen Chesers neues Buch, Reading Paul with the Reformers: Reconciling Old and New Perspectives, ist das jüngste Beispiel dafür. Aber mehr Kritik von Wright hebe ich für später auf. Jetzt war es erst einmal hilfreich zu wissen, wen er adressiert, bevor wir wissen, womit.

Also, worum ging es ihm? Es scheint eine seltsame Frage zu sein, wenn wir von einer Biographie sprechen, aber das Buch ist genauso Polemik von Wright wie Biographie von Paulus.

N.T. Wright als historischer Biograph

Für Wright ist die Hauptaufgabe eines Biographen, nach „dem Mann hinter den Texten“ (Seite xi) zu suchen. Er will das erreichen, indem er sich zuerst „in das Denken, das Verstehen und die Ambition (wenn das das richtige Wort ist) von Paulus, dem Apostel, hineinversetzt, der früher als Saulus von Tarsus bekannt war.  Was trieb ihn an, tief in seinem Herzen?“ (Seite 2). Weil das „Denken“ von Paulus nicht ungeprägt war, als er Christus begegnete, und „weil er dem jüdischen Gehorsam der antiken Regeln zugeneigt war, und diesen Gehorsam sogar mit Gewalt durchsetzte“, fragt Wright auch: „Wieso hat sich all das verändert? Was ist eigentlich genau auf dem Weg nach Damaskus passiert?“ (Seite 2). Diese zwei Fragen – was trieb Paulus an und was löste seine radikale Loyalitätsverschiebung auf dem Weg nach Damaskus aus – geben für Wrights Biographie den Ton an.

Bevor er diese Fragen beantwortet, macht Wright zwei wichtige Annahmen und beschreibt dann die historische Aufgabe, eine Biographie zu schreiben. Er nimmt an, dass der Galaterbrief an die südlichen Gebiete gerichtet war, und dass Paulus während seiner Gefängnisbriefe (Epheser, Philipper, Kolosser und Philemon) in Ephesus gefangen gehalten war. Er umreißt die historische Aufgabe dann auf eine dreifältige Weise. Erstens müssen wir das Denken von Paulus verstehen. Jeder, der sich seine Endnoten anschaut, wird zu dem Schluss kommen, dass er genau das tut. Er zitiert hauptsächlich den biblischen Text. Sekundarquellen spielen keine wichtige Rolle. Zweitens entdecken wir, „worüber Paulus in Wirklichkeit redete“, wenn wir realisieren, dass er „über ‚Geschichte‘ redete im Sinne, ‚was in der realen Welt‘, der Welt von Raum, Zeit und Materie geschieht“ (Seite 9). Das richtet sich gegen den Skeptiker, der denkt, man könne nur die überweltliche Dimension bekräftigen, wenn man die irdische Dimension leugnet. Drittens folgt daraus, dass die Analyse von Paulus` historischem Kontext und Umfeld wesentlich ist. Paulus war schließlich ein „kontextueller Theologe“ (Seite 10). Ein Portrait von Paulus zu malen umfasst deshalb ein tiefes Bedenken der zwei Welten, in denen er lebte: die „jüdische Welt“ und „die facettenreiche griechisch-römische Welt“ zusammen mit ihrer Konzeptualisierung von Politik, Religion, Philosophie usw. (Seite 10).

Dieses Buch besteht aus drei Teilen: „Anfänge“, „Botschafter des Königs“ und „Das Meer, das Meer“. Und ich muss zugeben, dass obwohl seine Kapitelüberschriften historisch nüchtern klingen (z.B. „Zypern und Galatien“ oder „Antiochia und Jerusalem“), dies wahrscheinlich die einfachste, romanähnlichste Biographie ist, die über Paulus geschrieben wurde, und seine wunderschöne Beschreibung von Paulus als eine Person des christlichen Dienstes, der Mission und des Gebets ist einfach umwerfend. Aber das ist genau das, was das Lesen dieses Buchs so gefährlich macht. Wright erzählt mit leuchtender Prosa und einer biblisch informierten Vorstellungskraft auf die bezauberndste und einnehmendste Weise eine Geschichte von Paulus` revolutionärer Reise. Die Leser nehmen dadurch jedoch vielleicht unwissentlich seine irrigen Ansichten über die Theologie von Paulus auf, die er in die Geschichte einwebt. Obwohl er behauptet, dass eine Biographie beinhaltet, „sich in das Denken von Menschen hineinzuversetzen, die nicht so denken wie wir“ (Seite 133), scheint Paulus auf seltsame Weise genauso zu denken wie Wright, in dieser Biographie über Wright – ich meine, über Paulus.

Im letzten Kapitel („Die Herausforderung des Paulus“) gibt Wright Antworten auf seine anfänglichen Fragen. Was trieb ihn an, in seinem tiefsten Herzen? Antwort: Jesaja 49. Das heißt, die Berufung Israels, ein Licht für die Nationen zu sein, das heißt, das Mittel von Gottes Heil bis an das Ende der Erde (49,6). (Man sollte hier nochmal anmerken, dass Jesaja 49 Wrights „Berufungsrahmen“ darstellt, der eine Schlüsselrolle in seinem theologischen Konstrukt einnimmt [siehe Seite 408-411], aber eine detaillierte Antwort darauf kann hier nicht gegeben werden.). Auf die zweite Frage: Wieso hörte er auf, jüdischen Gehorsam gegenüber dem Gesetz gewaltsam durchzusetzen, sowohl für sich selbst als auch für andere? Mit anderen Worten, was genau geschah auf dem Weg nach Damaskus?, argumentiert Wright, dass Paulus die wahre Bedeutung von „Glauben“ (griechisch pistis) entdeckte. Es bedeutete „glaubender Gehorsam“, und auf diese Weise werden Paulus und andere gerettet und erneuert werden, damit sie in die neue Schöpfung gelangen und für immer mit Gott leben können. Die Gleichsetzung von „Glauben“ und „glaubender Gehorsam“ bringt uns zum kritischen Unterschied zwischen Wright und der reformierten Theologie.

N.T. Wright als theologischer Polemiker

Viele der vertrauten theologischen Themen von N.T. Wright erscheinen auch in diesem Buch, wie seine besondere Sicht auf das Reich Gottes, die neue Schöpfung, das politische Evangelium des Paulus usw. Die Leser müssen sich evangelikale Besprechungen von Wrights massivem zweibändigen Werk Paulus und die Treue Gottes (Paul and the Faithfulness of God) besorgen, um Wrights eigentümliche Perspektiven auf diese und andere wichtige Themen zu verstehen. Im restlichen Artikel möchte ich lediglich die Aufmerksamkeit auf das lenken, was ich als die schädlichste theologische Behauptung in diesem Buch erachte. Wright betreibt Polemik, indem er dafür plädiert, dass wir die berühmte Aussage „Rechtfertigung durch Glauben“ in „Rechtfertigung durch Loyalität“ ersetzen. Er argumentiert: „Wenn pistis [Glaube] sowohl ‚Loyalität‘ als auch ‚Glaube‘ bedeuten kann, könnte man dann nicht die berühmte Lehre von Paulus als ‚Rechtfertigung durch Loyalität‘ ausdrücken?“ (Seite 411). Das ist nicht wirklich eine Frage. Das ist eine Behauptung, die im Laufe des ganzen Buchs gemacht wird, aber es ist eine Behauptung, die theologisch schädlich ist. Wenn „Loyalität“ Glauben und (gute) Werke umfasst, dann geschähe „Rechtfertigung“ durch Glauben und (gute) Werke. Aber das Buchgefühl würde hier vielleicht sagen: „Warte mal. Geschieht Rechtfertigung nicht ‚ohne Werke des Gesetzes‘ oder ‚Akte der Loyalität‘?“ Nicht ganz, sagt Wright. Er argumentiert, dass die reformierte Tradition lange „mit dem falschen theologischen Rahmen“ gearbeitet hat, wenn sie sich mit Paulus` berühmter „Lehre der Rechtfertigung“ beschäftigte (Seite 408). Er besteht darauf, dass wir „verpassen, worum es sich bei der ‚Rechtfertigung‘ des Paulus wirklich handelt“. Wie? Indem wir einen „moralistischen Rahmen“ unterstellen, der mit Luther fragt, „Wie kann ich einen gnädigen Gott finden?“ und dann frenetisch nach einem „Schatz [von Verdiensten oder Gerechtigkeit] Ausschau hält, der von jemand anderem für uns angesammelt wurde“ (Seite 408). Anscheinend ist die reformierte Tradition demnach voll von frenetischen Moralisten, die sich nur um die Zurechnung von Christi Gerechtigkeit sorgen, und darum, Gott als gnädigem Vater zu begegnen statt als urteilendem Richter. Und das ist „moralistisch“? Ich muss widersprechen. Aber lasst uns die Perspektive von Wright richtig verstehen, bevor wir sie offen herausfordern.

Das Hauptproblem mit Wright ist, dass er geläufige biblische Begriffe umdefiniert, wodurch es sehr schwer wird, eine Diskussion über den biblischen Text zu haben. Es ist wie, wenn ein Amerikaner und ein Brite versuchen, eine Konversation über „pants“ (Hose [Amerika] / Unterhose [England) und „suspenders“ (Hosenträger [Amerika] / Strumpfhalter [England]) zu haben. Sie reden zwangsläufig aneinander vorbei. Aber Wright behauptet, dass wir es seien, die falsch lägen. Aufgrund unseres modernen westlichen Denkens hätten wir Definitionen biblischer Begriffe übernommen, die Paulus vollkommen fremd wären, besonderes die Begriffe Bekehrung, Glaube und Rechtfertigung. Lasst uns diese einzeln anschauen.

Wenn wir uns den Wörterbucheintrag von Wright zu „Bekehrung“ anschauen, erfahren wir, dass Paulus auf dem Weg nach Damaskus keine Bekehrung vom „Judentum“ ins „Christentum“ erlebte, als ob Paulus „diese zwei ‚Religionen‘ miteinander verglich“ (Seite 3). Stattdessen war es eine „Bekehrung“ von Verheißung zu Erfüllung. „Es gab niemals einen Moment, in dem Paulus nicht vollkommen loyal gegenüber dem einen Gott war. Aber der eine Gott hatte seinen ewigen Absichten in der schockierenden Gestalt eines gekreuzigten Messias gelüftet, und das ändert alles“ (Seite 168-169). Indem er mehr Kontinuität zwischen dem Alten und dem Neuen Testament unterstellt, kann Wright nun einen weiteren wesentlichen Begriff umdefinieren: Glauben.

Das Wort, welches gewöhnlich mit „Glauben“ übersetzt wird, kann, so Wright, als „Treue“ oder „Loyalität“ übersetzt werden. Und das ist genau das, was Abraham in 1. Mose 15,6 zeigte, als er „Gott glaubte – glaubte an die Verheißung, dass er der Vater einer unzählbaren Familie sein würde, die die ganze Erde erben würde – und es wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet. Dieser Glaube, sein Vertrauen, diese Loyalität, war Abrahams Bundeszeichen“ (Seite 328). Um fair zu sein, muss man sagen, dass in dem Kontext undeutlich ist, ob Wright glaubt, dass Abraham durch Glauben für gerecht erklärt wurde oder durch Glauben plus Werke. Er schließt an die obigen Aussagen an mit: „Die Familie [Abrahams] konnte nicht durch Beschneidung erschaffen werden (was erst später in 1. Mose 15 hinzukam) oder durch Befolgen des Gesetzes (was erst hunderte Jahre später hinzukam). Sie konnte nur durch einen frischen Akt der Gnade Gottes erschaffen werden, der im Glauben angenommen wurde“ (Seite 328-329). Aber mit seiner Betonung im ganzen Buch auf „glaubenden Gehorsam“ (Seite 409) oder „glaubende Loyalität“ (Seite 90) als legitime Definition von pistis (Glaube) ist es schwer, zu wissen, was er genau über das denkt, was in 1. Mose 15,6 geschieht. Auf gewisse Weise ist es egal. Wright definiert die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Rechtfertigung“ vollkommen um auf eine Weise, die es ihm ermöglicht, Kritik an diesem Punkt auszuweichen.

Das Wort, welches mit „Rechtfertigung“ oder „Gerechtigkeit“ (beide von derselben griechischen Wurzel) übersetzt wird, ist, nach Wright, ein Beziehungsbegriff, kein moralischer Begriff. Das heißt, er hat nichts damit zu tun, wie wir Gottes moralischen Standard durch die Zurechnung von Christi Gerechtigkeit im Glauben erfüllen, sondern mit dem Sein in einer richtigen Beziehung mit anderen (deshalb beschuldigt er Reformierte als „Moralisten“). Es ist auch wichtig, hinzuzufügen, dass er die Zurechnung von Christi Gerechtigkeit leugnet, und obwohl er die Vergebung der Sünden in Paulus` Lehre von der Rechtfertigung bekräftigt, denkt er, dass Rechtfertigung mehr mit dem Status einer Person im Bund zu tun hat. Er schreibt: „Nun glaubt Paulus offensichtlich an die Bedeutung der Sünde und der Rettung von ihr. Aber darum geht es nicht in Jerusalem, Antiochia oder Galatien. Worum es geht, ist der Status in der Bundesfamilie“ (Seite 147). „Rechtfertigung“ oder „Gerechtigkeit“ haben demnach damit zu tun, zum Mitglied der Bundesgesellschaft erklärt zu werden.1 Wenn er „Rechtfertigung“ umdefiniert und fundamentale Wahrheiten wie die Zurechnung von Christi Gerechtigkeit leugnet, kann man leicht verstehen, wie Wright von einer „Rechtfertigung durch Loyalität“ ausgehen kann. In seinem Denken ist das das Gleiche wie die Überzeugung reformierter Theologen, dass Christen letztendlich durch einen wahren und lebendigen Glauben gerettet werden; das heißt, eine Person, die am Ende gerettet wird, hat Werke, die aus dem Glauben fließen. Um das vertrauter auszudrücken: Wir sind durch Glauben allein gerechtfertigt, aber es ist ein Glaube, der niemals allein ist. Er wird von guten Werken begleitet (Eph 2,8-10). Nichtsdestotrotz macht der reformierte Theologe eine wesentliche Unterscheidung zwischen „Rechtfertigung“ und „Heiligung“, während diese Unterscheidungslinie bei Wrights Verständnis verschwommen ist. Bedenke dieses Zitat (wobei viele Beispiele dafür gegeben werden könnten):

Für Paulus war Rechtfertigung die Erklärung Gottes, dass diese oder jene Person ein Mitglied der einen Familie ist, die Abraham verheißen wurde – was bedeutete, obwohl sie „gottlos“, weil Heiden, waren, waren solche Menschen „gerechtfertigt“, für richtig erklärt, in der Familie Gottes seiend, indem Gott die unterjochenden Mächte niederwarf, er die Sünden vergab und durch das mächtige Reinigungswerk des Geistes. (Seite 411)

Der schädliche Aspekt seiner Behauptung von „Rechtfertigung durch Loyalität“ ist, dass seine Leser, die in dieser Biographie keinen Zugang zu Wrights größerem theologischen Rahmen haben, am Ende denken, dass es stimme, dass Rechtfertigung ein Ergebnis von Glauben plus gute Werke sei. Worte wie „Loyalität“ und „Gefolgschaftstreue“, obwohl sie hilfreich dabei sind, die aktive, geistbefähigte Rolle des Gläubigen bei der Heiligung zu betonen, überhaupt nicht hilfreich sind, wenn sie mit dem Wort Rechtfertigung verbunden werden. Das letztere hat nichts mit menschlichen Werken zu tun, vom Geist gewirkt oder nicht. Es hat nur etwas mit der göttlichen Gnade zu tun, die unwürdigen Sündern gegeben wird, die zu Recht unter dem Zorn Gottes stehen, in Verbindung mit vollständiger Vergebung der Sünden und der Zurechnung von Christi Gerechtigkeit, was durch Glauben allein empfangen wird. Das Reden von „Treue“, „Loyalität“ und „Gefolgschaftstreue“ oder „glaubender Gehorsam“ ist angemessen – solange wir von Gottes Gnadenwerk in der Heiligung reden. Aber nochmal, keiner, der Wright liest, kann sicher sein, dass er und Wright von denselben Sachen reden. Für Wright müssen geläufige biblische Begriffe umdefiniert werden. Theologische Traditionen müssen abgeworfen werden. Systematische Kategorien müssen zur Seite gestellt werden. Denn es ist nur wichtig, das Denken von Paulus in seinem antiken Kontext zu verstehen. Das macht jemanden gewiss zu einem guten historischen Biographen, aber gewiss nicht zu einem überzeugenden theologischen Polemiker.

Wright zu lesen bedarf viel Unterscheidungsvermögen. Diese Biographie von Paulus wird dem Leser gewiss mehr Einsichten in das Denken von Paulus geben. Aber diejenigen, die nicht wissen, wie sie Wright mit Unterscheidungsvermögen lesen müssen, können unwissentlich falsche Ansichten über die Theologie des Paulus übernehmen. Es ist ein angenehmes Buch zu lesen, das verschiedene große Einsichten enthält, aber Wrights impliziter theologischer Rahmen resultiert in illegitimen Neudefinierungen, falschen Schlüssen und unbegründeten Entstellungen der reformierten Theologie. Wright und andere könnten mir leicht vorwerfen „in meinem Standpunkt gefärbt zu sein“ (Seite 12-13). So sei es. Ich finde trotzdem, dass die „Farbe“ der Reformation und ihrer Nachfolger die göttliche Schrift besser widerspiegelt als Wrights angeblich „ungefärbte“ Perspektive.

Buch

N.T Wright. Paul: A Biography. HarperOne, 2018. 480 Seiten, ca. 25,00 €.

Fußnoten

1 Für eine Kritik von Wrights Neudefiniton der Begriffe Rechtfertigung/Gerechtigkeit sollte man die umfassende Monographie von Charles Lee Irons, The Righteousness of God, WUNT (Tübingen, Deutschland: Mohr Siebeck, 2015), 2.386 konsultieren.