Die Predigt und der Prediger

Rezension von Hanniel Strebel
10. Juni 2015 — 4 Min Lesedauer

In der Buchempfehlung des Verlags wird John Stott zitiert: „Ich zögere nicht einen Moment dieses Buch allen Predigern zum Studieren zu empfehlen. Es hat mich persönlich herausgefordert und gesegnet.“ Ich kann mich diesem Statement nur anschließen. Weshalb?

  1. Ein Mann, der über Jahrzehnte Tausende von Predigten hielt, erklärte sich nach Beendigung seiner Anstellung an der Westminster Chapel bereit, eine Vortragsserie am Westminster Seminary zu halten, in der er nicht nur seine Erfahrungen zusammenfasste, sondern auch seine Überzeugung und seine Berufung eindrücklich darstellte.
  2. Lloyd-Jones war stets zurückhaltend mit eigenen Beispielen. Er wollte als Verkündiger nicht seine Person, sondern Christus ins Zentrum seiner Predigten rücken. In diesem Buch öffnet er sich und lässt einige Erlebnisse einfließen. Es handelt sich hauptsächlich um Begegnungen mit Menschen. Diese Beispiele unterstützen die Botschaft des Buches.
  3. Die Predigt wird zu oft zugunsten anderer Elemente abgewertet. Da gibt es Zeugnisse, Theater, Clips, Gesang, Ankündigungen. Die Zeit für die Predigt wird entweder zeitlich begrenzt und noch häufiger wird ihr Platz durch die vielen anderen Sinneseindrücke geschmälert. Lloyd-Jones zeigt eindrücklich auf, weshalb die Predigt Vorrang hat und kein Ersatz für sie gefunden werden kann und darf.
  4. Der Aufbau des Buches unterstützt eine umfassende Perspektive: Lloyd-Jones beginnt mit einem Rundum-Blick in die Aktualität der 70er-Jahre und setzt damit den Rahmen. (Die Situation hat sich in den letzten 50 Jahre weiter zugespitzt, sie trifft unverändert zu.) Auf dem Hintergrund erläutert der Autor den Platz und die Aufgabe der Predigt im Zusammenspiel mit dem Prediger und den Zuhörern. Er wechselt zwischen dem, der die Predigt hält, der Botschaft und denen, die die Predigt hören.
  5. Das schrittweise Vorgehen erleichtert das Verdauen der einzelnen Schritte. Die Kapitel lassen sich gut lesen, trotzdem hat man reichlich „Futter“ zum Nachdenken.

Ich kenne Prediger, die das Buch einmal jährlich durchlesen. Auf jeden Fall ist es ein Werk, das man nicht einmal zur Hand nimmt und dann weglegt. Ich glaube, dass es auch in 50 oder 100 Jahren gelesen wird.

Einige Lernpunkte

Hier sind einige Bemerkungen, die ich für mein eigenes Leben und meine eigene Predigtpraxis mitnehmen und mir immer wieder in Erinnerung rufe.

a) Predigt

  • Eine Predigt sollte immer den Bibeltext auslegen. „In einer Predigt ist das Thema oder die Belehrung etwas, was sich aus dem Text und dem Zusammenhang ergibt; es ist etwas, was durch diesen Text und Textzusammenhang veranschaulicht wird“ (S. 76).
  • Predigten dürfen keine fortlaufenden Kommentare über einzelne Verse sein. (Ich selbst bin in einer solchen Predigtkultur aufgewachsen.) Llloyd-Jones legt großes Gewicht auf die Einbettung der Predigt in die Heilsgeschichte und in die Systematische Theologie. Es gilt, die Botschaft im Rahmen der gesamten Lehre der Bibel zu sehen.

b) Prediger

  • Lloyd-Jones empfiehlt, sich regelmäßig mit der Erweckungsgeschichte der Kirche auseinanderzusetzen. Es ermutigt ungemein, Gottes Wirken in den vergangenen Jahrhunderten zu verfolgen und von den Dienern, die er benutzt hat, zu lernen.
  • Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Konsultation der Kirchengeschichte, um für Irrlehren sensibilisiert zu sein. Oft werden „neue Erkenntnisse“ dargeboten, als habe es diese noch nie gegeben. Geht man in vergangene Zeiten zurück, entdeckt man dieselben Postulate und kann sich mit den Langzeitfolgen auseinandersetzen.
  • Die evangelistische Verkündigung muss Bestandteil jeder Predigt sein. Zu einer solchen Verkündigung gehört solide Theologie. „Man kann Buße nicht in angemessener Weise behandeln, ohne über Sünde und dem Zorn Gottes über die Sünde zu sprechen“ (S. 70).
  • Eine der wichtigsten Regeln für den Tagesablauf des Predigers: Wache über den Morgen (S. 174).
  • Lloyd-Jones las stets mit offenem Notizbuch seine Bibel. Jeder Vers, der uns gefangen nimmt, verdient eine Notiz. Wenn ihm Predigtgliederungen einfielen, schrieb er sie unverzüglich auf. Zu einem späteren Zeitpunkt konnte er sich auf einen Stapel von Gliederungen zurückgreifen.
  • Ruiniere eine gute Idee nicht durch übereilte Vorbereitung (S. 220).
  • Gib Acht auf deine Stärken, nicht so sehr auf deine Schwächen (S. 263).

c) Zuhörer

  • „Was ist das wichtigste Ziel beim Predigen? Ich möchte meinen, dass es darin besteht, Männern und Frauen ein Empfinden von Gott und seiner Gegenwart zu vermitteln“ (S. 103).
  • Es besteht die Gefahr, dass die Kirchenbank versucht, die Kanzel zu diktieren (S. 130). Insbesondere wird von der Unfähigkeit der Zuhörer, bestimmte Wahrheiten zu hören und aufzunehmen, ausgegangen.
  • Wir dürfen den Zuhörern nie den Eindruck vermütteln, dass sie lediglich eine kleine Anpassung iin ihrem Denken, ihren Ideen und ihrem Verhalten vornehmen müssten (S. 148).
  • Es ist eine riesige Gefahr, anzunehmen, dass alle, die behaupten, Christen zu sein, und die meinen, dass sie Christen seien, und die Gemeindemitglieder sind, deshalb notwendigerweise auch Christen wären (S. 153).
  • Ich habe mich immer dem Gedanken wiedersetzt, Menschen zu zwingen, Gottesdienste zu besuchen; vielmehr sage ich, dass unsere Verkündigung sie mit einem Wunsch erfüllen sollte, dies zu tun (S. 260).

Fazit

Ich habe zu Beginn eine Leseempfehlung ausgesprochen. Ich glaube, dass dieses Buch ein wichtiges Zeichen setzt in einer Zeit, in der Gemeindeanalysen und Businesspläne (Produkte der „Gemeindewachstumstheologie“) Alltag geworden sind und auf der anderen Seite viele liturgisch-mystische Elemente die ausgespühlten Inhalte zu ersetzen drohen.

Buch

Martyn Lloyd-Jones, Die Predigt und der Prediger: Vortragsreihe über Predigtvorbereitung. 3L Verlag, Waldems, 2005, 336 S., 14,50 €.