Wie Gottesdienste gestalten?
Die Freiheit des regulativen Prinzips
Obwohl ich in einer reformierten Gemeinde aufgewachsen bin, war ich bis zu meinem Theologiestudium einer der vielen Christen, der niemals zuvor vom regulativen Prinzip gehört hatte. Es war nie Kern meiner Identität. Doch mit der Zeit lernte ich das regulative Prinzip immer mehr zu schätzen.
Einfach gesagt, bedeutet das regulative Prinzip: „Der annehmbare Weg wie der wahre Gott angebetet werden soll, ist von ihm selbst bestimmt worden und so an seinen eigenen, geoffenbarten Willen gebunden (Westminster Bekenntnis 21.1).“ Mit anderen Worten: Die gemeinsame Anbetung soll aus den Elementen bestehen, über die wir sagen können, dass sie von der Bibel her angemessen sind. Das regulative Prinzip sagt im Wesentlichen aus: „Lasst uns Gott so anbeten, wie er angebetet werden will.“ Im schlimmsten Fall führt das Prinzip zu ständigen Reibereien und Misstrauen unter Christen. Christen prügeln sich darüber, wann genau im Gottesdienst die Kollekte eingesammelt werden soll oder welche Instrumente biblisch erlaubt sind. Wenn wir vom Neuen Testament eine levitische Anordnung der einen Liturgie erwarten – der einen Gott wohlgefälligen Liturgie –, fragen wir nach etwas in der Bibel, was sie nicht beabsichtigt hat zu beantworten. Das regulative Prinzip kann zu einer Religion an sich werden, doch im Herzen des regulativen Prinzips geht es nicht um Einengung, sondern um Freiheit.
1. Freiheit von kulturellem Zwang.
Wenn die gemeinsame Anbetung weitestgehend unserer eigenen Gestaltung überlassen wird, werden wir ständig versuchen, mit dem neuesten Trend Schritt zu halten. Alles muss kreativ, relevant und neu sein. Doch im Laufe der Zeit – heutzutage dauert es nicht allzu lange – wird das, was frisch war, verbraucht sein. So müssen wir wieder umrüsten, um die nächste Generation zu erobern. Oder wir finden uns einfach damit ab, uns als Baby-Boomer- oder Generation X-Gemeinde zu etablieren.
2. Freiheit von ständigen Kämpfen um Vorlieben.
Das regulative Prinzip hebt nicht die Rolle von Meinung und Vorlieben vollkommen auf. Auch mit einem konservativen reformierten Rahmen, können Anbetungsleiter sich über Musikstil, Übergänge, Lautstärke, Tempo und vielen anderen Gegebenheiten uneinig sein. Konflikte wegen unterschiedlicher Vorlieben wird es auch mit dem regulativen Prinzip geben. Diese sollten aber abgeschwächter sein. Ich kann mich an eine Gottesdienstplanung vor einigen Jahren in einer anderen Gemeinde erinnern, bei der die Leute ziemlich gut darin waren, neue Ideen für den Gottesdienst zu entwickeln. Zu gut - um ehrlich zu sein. Ein Gottesdienst begann mit dem Titellied der Sitcom Cheers. In einem anderen Gottesdienst am „Tag der Arbeit“ sollten die Leute in ihrer Arbeitskleidung nach vorne kommen und über ihren Job sprechen. Jeder hatte eine Idee, die ihm bedeutend vorkam. Das regulative Prinzip hätte nicht all unsere Probleme lösen können, doch es wäre ein guter Filter gewesen, um einige gut gemeinte, aber alberne Ideen, abzufangen.
3. Gewissensfreiheit.
Als die neu etablierten, protestantischen Kirchen aus der katholischen Kirche mit einer Reihe ihrer außerbiblischen Bräuche ausgetreten waren, mussten sie überlegen, wie ihre eigenen Gottesdienste aussehen sollten. Einige gingen den bequemen Weg und behielten viele Elemente der katholischen Messe bei. Andere wiederum verbanden diese Elemente mit einem falschen religiösen System. Sie wollten auf keinen Fall zurückkehren zur katholischen Messe mit vielen Bräuchen, die sie hinter sich gelassen hatten, auch wenn einige dieser Bräuche an sich gar nicht so schädlich zu sein schienen.
Dies war die Dynamik, die das regulative Prinzip so wichtig machte. Reformierte Christen sagten im Endeffekt: „Wir wollen unsere Gemeindemitglieder nicht darum bitten, etwas zu tun, was ihr Gewissen verletzen könnte.“ Hier mal hinknien oder dort ein Kuss kann vielleicht von einigen in ihrem Herzen verantwortet werden, doch was ist mit denen, die es für Götzendienst halten? Sollte man von ihnen erwarten können, etwas als Anbetungsakt zu tun, was die Schrift an keiner Stelle anordnet und ihr Gewissen nicht erlaubt? Das heißt nicht, dass Christen jedes Lied mögen oder jede Musikauswahl begrüßen werden. Doch zumindest können wir mit dem regulativen Prinzip befreit zum Gottesdienst kommen, da wir wissen, dass von uns nichts verlangt wird als das, was aus dem Wort Gottes kommt.
4. Freiheit um kulturübergreifend zu sein.
Leider denken die meisten Leute, dass Gottesdienste nach dem regulativen Prinzip wahrscheinlich am schwierigsten in andere Kulturen zu bringen seien. Das mag stimmen, wenn das regulative Prinzip fälschlicherweise so verstanden wird als schriebe es sowohl den Stil als auch den Inhalt vor. Doch das regulative Prinzip bedeutet in seiner besten Form, dass wir einfache Gottesdienste haben mit Gesang, Gebet, Schriftlesungen, Predigten und den Sakramenten – eine Gottesdienstart, deren wesentliche Struktur überall auf der Welt „funktionieren“ kann.
5. Freiheit um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Normalerweise, wenn ich über die gemeinsame Anbetung spreche, erwähne ich das regulative Prinzip erst gar nicht. Es ist vielen unbekannt und anderen ist es unheimlich. So versuche ich meistens aus einem anderen Blickwinkel zu derselben Idee zu kommen. Ich sage so etwas wie: „Was wissen wir darüber, was die Christen in der Bibel in ihren Gottesdiensten gemacht haben? Wir wissen, dass sie die Bibel gesungen haben. Wir wissen, dass sie die Bibel gepredigt haben. Wir wissen, dass sie die Bibel gebetet haben. Wir wissen, dass sie die Bibel gelesen haben. Wir wissen, dass sie die Bibel in den Sakramenten gesehen haben. Wir finden keine Theaterstücke, Tiersegnungen oder liturgische Tanzeinlagen. Warum sollten wir uns also nicht auf all das konzentrieren, wovon wir wissen, dass die ersten Christen es in ihren Gottesdiensten gemacht haben? Warum sollten wir die Elemente verbessern, von denen wir wissen, dass sie Gott wohlgefällig waren und in der frühen Kirche praktiziert wurden?“ Mit anderen Worten: Das regulative Prinzip befreit uns dazu, ohne jegliche Entschuldigung zum Wesentlichen zurückzukehren. Und da dürfen wir bleiben.
Kevin DeYoung ist Hauptpastor der Christ Covenant Church in Matthews, North Carolina. Er ist einer der Vorsitzenden von The Gospel Coalition, unterrichtet Systematische Theologie am Reformed Theological Seminary (Charlotte, USA) und arbeitet momentan an seiner Doktorarbeit (University of Leicester). Kevin und seine Frau Trisha haben sieben Kinder. Der Artikel erschien zuerst bei The Gospel Coalition. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.